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Dienstag, 24. Januar 2017

Ich sehe was, was du nicht siehst - und das ist braun.

In meiner Jugendzeit hörte ich sehr gern Ska. Eine gute, alte deutschsprachige Ska-Band und Pioniere in unserem Land waren El Bosso & Die Ping Pongs.
Einer ihrer Titel war "Ich sehe was".


Damals war ich bereits schon sehr geschichtsbewusst unterwegs und mich kotzte an, wie rechte Vollidioten durchs Land marodierten und im Osten wie auch in Solingen, Lübeck und an so vielen anderen Orten Hass und Dummheit verbreiteten. Menschenleben vernichteten. Trotzdem fühlte ich mich sicher, weil ich der festen Überzeugung war, diese Menschen hätten keinen Rückhalt in der Gesellschaft.
Heute jedoch, in den Zeiten der AfD, habe ich Zweifel an meiner damaligen These. Und Sorge.

"Die Faschisten machen sich breit, in der Politik - sie sind bereit."


Wie tickt die Polizei?

Bevor ich als junger Erwachsener den Weg zur Polizei fand, machte ich mit der Polizei unterschiedliche Erfahrungen. Ich erlebte aufopfernde Hilfsbereitschaft und professionelle Ausübung des Berufs als Berufung. In diesen Beobachtungen war auch der Trigger, der Schlüsselmoment enthalten, der mich an den Polizeiberuf glauben ließ. Natürlich gab es auch weniger schöne Feststellungen. Das bleibt nicht aus bei einer Institution, die qua gesetzlichem Auftrag in die Grundrechte der Mitmenschen einschneidet. Hier ist die feine Unterscheidung wichtig: wann ist es legitimiert und beanstandungsfrei und wann ist es willkürlich und unprofessionell. Ein verdammt schmaler Grat.
Es hat dann eineinhalb Jahrzehnte gedauert, bis ich entschloss, mich auch aktiv politisch in Sachen Innenpolitik einzubringen. Im Zusammenschluss PolizeiGrün fand ich hierfür eine ideale Heimat, denn die Vereinsziele bilden eine weltoffene, diskriminierungsfreie, bürgernahe und eigenkritische Polizei ab. Eine Polizei, wie ich sie mir wünsche.
Seitdem gab es bei der Verteidigung dieser Ziele und der dazugehörigen Thesen öfter mal harten Gegenwind, gern auch ordentlich Fratzengeballer, wie manch einer es ausdrücken würde. Ein Grundmissverständnis hierbei ist meiner Meinung nach, dass verkannt wird, dass ich freilich für die oben genannten Attribute einstehen und wirken kann, ohne gleichzeitig die Polizei an sich abzulehnen oder pauschal abzuurteilen. Denn das ist Unsinn und diese undifferenzierte "Wer die Polizei nicht (unkritisch) liebt, kann sie nur hassen"-Einstellung führt nur zum Dissens, zum Bruch.
Gerade in den ersten Wochen dieses neuen Jahres wurden einige Akzente gesetzt, die eine recht hitzige Atmosphäre entstehen ließen: Die Nachwirkungen des in Deutschland angekommenen Terrors, die erneute Zuspitzung einer polizeilichen Lage am Kölner Hauptbahnhof, all dies ließ die Volksseele hochkochen und heftig diskutieren. Ahnung und Sachverstand waren für eine Teilnahme nicht nötig.
Und gerade in dieser Zeit habe ich eine Petition initiiert, die auf größere Meinungsvielfalt in Sachen Innen- und Sicherheitspolitik in unserem Land abzielt und vor allem mehr Qualität, Faktentreue und Besonnenheit erreichen möchte.
Die darauf folgenden Anfeindungen und Beschimpfungen waren in ihrer Anzahl und Heftigkeit erstaunlich. Vor allem: sie kamen fast vollständig aus dem rechten und ultrarechten politischen Lager. Das hat mich und meine Mitinitiatoren einerseits darin bestätigt, auf solch ein Ungleichgewicht aufmerksam gemacht zu haben. Andererseits macht es mir persönlich aber vor allem eins: Angst.

Schon immer war mir klar, dass Polizist*innen im Schnitt eher rechts der gesellschaftlichen Mitte stehen. Nicht nur hierzulande, sondern fast überall. Der Großteil, so hoffte und dachte ich, im "gesunden Mittelfeld", leider mit einzelnen rechten Ausreißern. Wer nun wieder stöhnt und sich gegen die Stirn schlägt: Einfach mal recherchieren, wie viele Fälle von rechtsnationalen/-radikalen Vorfällen es in den vergangenen Monaten und Jahren bei Polizeimitarbeiter*innen gegeben hat (Identitäre, Reichsbürger, Sympathisanten von rechten Organisationen, Geheimnisverräter, AfD-Mitglieder etc. pp.). Aber klar - wenn sich ein*e Polizist*in mal gegen den Strich positioniert und für linke Inhalte eintritt, ist der Aufschrei groß.

Nach dem vorhersagbaren Aufstand der rechten Trolle zu unserer Petition hat sich aber auch einiges im positiven Sinne getan: Die Unterstützung vieler Menschen mit der Fähigkeit zu empathischem, differenziertem und menschenfreundlichem Denken hat mich erreicht und glücklich gemacht. Hierfür meinen herzlichen Dank. Nachdem in der ersten Woche die Petition vor allem in der rechten Medienwelt Niederschlag fand, haben mittlerweile auch die taz am Wochenende und der Stern darüber berichtet.


Nichtsdestotrotz beschäftigt mich eine Frage so sehr wie selten zuvor: Wie tickt die Polizei?

Dass es in Zeiten von Hatespeech, Fakenews, AfD, PEGIDA, Erdoğan, Putin und Trump rauer und unfreundlicher im öffentlichen Diskussionsraum wird, ist vollkommen klar. Auch, dass dies nicht vor der Polizei Halt macht. Denn auch ein*e Polizist*in ist zu drei Vierteln der Lebenszeit eben nicht im Dienst, hat staatsbürgerliche Rechte und nimmt an gesellschaftlichen Diskussionen teil. Auch war mir immer klar, dass gerade die politische Rechte für Staatsdiener, gerade Polizeibedienstete, als ein attraktiver Partner erscheint: mutmaßlich mehr Wertschätzung, versprochene bessere Ausstattung und vor allem ein konsequentes Vorgehen gegen diejenigen, die für die Polizei angeblich eine Menge Arbeit bedeuten - Geflüchtete, Obdachlose, LSBTTIQ-Menschen, kurzum alle so genannten Randgruppen. Diese Denkweise trifft zum Glück nicht auf sämtliche Kolleg*innen zu. Die beängstigende Frage aber: Auf wie viele genau? Und gerade bei einer Antwort hierauf bekomme ich ab und an Gänsehaut...

Tatsache ist, dass sich jetzt auch eine Gruppierung "Polizei wählt AfD!" formiert hat. Möglicherweise sogar als Replik der jüngst vorgetragenen Kritik an der empfundenen Rechtslastigkeit. Ganz sicher aber auf der Welle rechtspopulistischer Äußerungen eines Rainer Wendt. So überrascht auch nicht, dass die Mehrzahl der noch überschaubaren Tweets auf dem Twitteraccount @PolizeiAfD eine Wiedergabe von Wendts Phrasen ist.

Twitteraccount @PolizeiAfD

Ich beende meine Gedanken mit einer Frage. Seit Beginn des Jahrtausends wird nach dem Auftreten schlimmer rechtsextremistischer Straftaten häufig von einem "Aufstand der Anständigen" gesprochen, wenn mehr Courage gegen menschenfeindliche, die Grundregeln des fairen und respektvollen Umgangs miteinander bedrohende Taten gefordert wird. Gilt dies nicht auch für Polizeimitarbeiter*innen? Insbesondere wenn diese Berufsgruppe als eine Art Seismograph für entscheidende gesellschaftliche Entwicklungen ansehen wird?


Dienstag, 3. Januar 2017

Silvester-Polizeieinsatz am Kölner Hauptbahnhof und der Vorwurf des Racial Profiling

Gestern habe ich mich eher allgemein zur momentanen schwierigen Lage für die Polizei in Deutschland geäußert. Das Thema "Silvester Köln Hbf." habe ich dabei nur angerissen. Da ich mich aber durchaus positioniert habe, möchte ich hiermit noch einmal konkretisieren und ergänzen:
(Vorbemerkung: ich war persönlich nicht dabei und habe auch - weder privat noch dienstlich - von an dem Einsatz beteiligten oder betroffenen Personen Informationen erhalten; ich beziehe sämtliche Fakten auch nur aus den offen zugänglichen Medien)
Foto: pixabay.de, CC0 Public Domain
Konsens dürfte bei Fachleuten und politisch Verantwortlichen dahingehend bestehen, dass die Nutzung des Begriffs "Nafris" über den Twitteraccount der Kölner Polizei fehlerhaft und unangebracht war.
Der Polizeipräsident und auch das Bundesinnenministerium haben sich hierzu bereits entsprechend geäußert.
Ich sage zwar nicht "Schwamm drüber!" (denn solche Fehlgriffe erschüttern das Vertrauen in eine vorurteilsfreie Polizei), möchte diesen Umstand jedoch von der Fragestellung "War es Racial Profiling?" abkoppeln.
Erst einmal muss klar sein, dass es als Antwort auf diese Frage kein eindeutiges "ja" oder "nein" geben kann. Das ist bei einer großen Personengruppe der polizeilich Betroffenen (850 Menschen oder mehr) und einem enormen Kräfteansatz der Polizei (1.700 Beamt*innen oder mehr) gar nicht möglich. Nicht Jede*r innerhalb der beiden Gruppen kann denselben oder einen gleichen Vorsatz gehabt haben wie die jeweils Mitbetroffenen.
Anders ist es schon, wenn man Einzelfälle betrachtet, über welche auch i.d.R. die Gerichte geurteilt haben, z.B. die Polizist*innen, die in der Bahn oder einem großen, stark frequentierten Platz ausschließlich die Personen mit Maßnahmen überziehen, die erkennbar nichtdeutschen Phänotyps sind und sich komplett unverdächtig verhielten.

Weshalb sollte der Einsatz am Kölner Hauptbahnhof in seiner Gesamtheit also den Verdacht auf Racial Profiling erweckt haben können?

Mir persönlich stellen sich verschiedene Fragen, gerade auch im Hinblick auf den Vorhalt einiger Kritiker, dass die verfassungsmäßig geforderte Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wurde:
  • Wie konnte der Eindruck entstehen, dass die Polizei mit massiven Kräften vor Ort war, dort aber diese große Personengruppe anreiste, als wäre sie "vom Himmel gefallen"?
  • Warum gab es keine Voraufklärung dahingehend, dass bereits der Zustrom zum Hauptbahnhof (im ÖPNV oder auch mit der Deutschen Bahn) besser kontrolliert und gelenkt/abgeleitet wurde? So hätte sich der massive Kontrollaufwand mit der entsprechenden medialen Außenwirkung leichthin vermeiden lassen.
  • Warum (und das ist meine Kernfrage!) hat man zwar ein Jahr Zeit für eine Lageplanung gehabt, diese aber offenbar nicht für eine angemessene Vorfeldkommunikation genutzt? Damit meine ich, dass man die Zielgruppe (also die mutmaßlich "nordafrikanischen Männer" und auch sonstige Flüchtlings- und Zuwanderergruppen) in den Wochen und Tagen vor Silvester beratend aufsucht und dort normverdeutlichend erklärt, dass unter Hinweis auf das vorige Silvesterfest verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gelten und dass man von einer Anreise zum Kölner Hbf. abrät.
  • In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob zureichend auf die Heim- und Unterkunftsbetreiber und auch sonstige Netzwerkpartner (Moscheevereine usw.) im Vorfeld zugegangen wurde.
  • Gab es Hinweise, Plakate o.ä. sowie Posts in von der Zielgruppe genutzten (sozialen) Netzwerken, um die betreffenden Personen zu erreichen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die aus Silvester 2015 entstandene Diskussion nicht auch bei den nun überprüften Menschen Erörterung fand. Dann muss dort auch bekannt gewesen sein, dass die Polizei eine Wiederholung der unsäglichen Vorfälle verhindern wird. Ich kann nicht in jeden Kopf einzeln hineinschauen, aber sollte denn wirklich jeder der betroffenen 850 (oder mehr) Männer dort betrunken und/oder aggressiv und auf Konfrontation aus gewesen sein? Wurde eine Alkoholisierung geprüft?
Und selbst wenn: Die Menschen wurden kontrolliert und dann geregelt vom Platz des Geschehens geschafft. Ich denke nicht, dass sie von der Polizei einzeln "nach Hause" eskortiert wurden. Wahrscheinlich wurden sie in größeren Gruppen an anderer Stelle entlassen. Aber warum haben sie dann, betrunken und aggressiv, nicht an dieser Stelle randaliert?

Vielleicht gibt es ja auf alle meine Fragen eine absolut adäquate polizeiliche Erklärung, sodass wirklich in keiner Weise ein Vorwurf berechtigt wäre.
Aber dann hätte ich mir gewünscht, dies vom Polizeipräsidenten auch so in den Medien präsentiert zu bekommen. Stattdessen hat er (mit Verzögerung) zwar die fehlerhafte Verwendung des Unwortes "Nafris" bedauert, zu den Einsatzumständen jedoch nicht zureichend berichtet, sondern sich vielmehr dünnhäutig gegen Kritik gewehrt.
Falls nicht alles getan wurde, um dem massiven Auftreten der Personengruppe bereits im Vorfeld entgegenzuwirken, dann gibt es in der Tat Probleme mit der Verhältnismäßigkeit, ganz einfach weil angemessene Präventionsmaßnahmen versäumt wurden.

Mein Fazit:

Wie viele polizeiliche "Skandälchen" scheint auch dieser leider hausgemacht.
Sowohl zureichende Präventionsmaßnahmen im Vorfeld als auch eine entsprechende zielgerichtete Kommunikation/Gefährderansprache hätten viel bewirken und vermeiden können. Weiterhin hätte man sich das "Nafri"-Gate durch mehr Fingerspitzengefühl sparen können, denn dieser Lapsus hat viele Kritiker erst auf den Plan gerufen.
Klarstellend auch: Wer zumindest Zweifel an dem von vielen als "sehr gut" wahrgenommenen Verlauf der Einsatzmaßnahmen äußert, ist mitnichten gleich ein Polizeifeind, ein Haar-in-der-Suppe-Sucher oder gar ein Befürworter von Sexual- oder Gewalttaten, egal von wem sie begangen werden. 
Vielleicht sind die Menschen, die unter Inanspruchnahme ihres Rechts auf Nachfrage (Politiker, Medienmenschen pp.) Antworten einfordern, einfach nur um Bürger- und Freiheitsrechte besorgt. Und dann verdienten sie Dank und nicht Kopfschütteln vom gesellschaftlichen Mainstream oder Todesdrohunugen vom rechten Schwachmatenrand.
Ich bin sicher, dass man die polizeilichen Maßnahmen in Köln nicht freudetrunken abfeiern muss, um Dank für die Polizei als Beschützer und Helfer (und zwar überall in Deutschland, 24/7) zu empfinden!
Der Dissenz zwischen den Menschen in dieser Gesellschaft wird immer mehr befeuert, wenn solche Ereignisse sogleich zu einer Lagerbildung sowie zu verbissenen Diskussionen bis hin zu Hatespeech führen.
Ein wenig mehr Sachlichkeit, Abkehr von Dogmen und Hinwendung zu menschlichem, zielorientiertem Umgang miteinander wäre schön.

Abschließend von mir noch eine Leseempfehlung zu einem Artikel von Christian Bangel in der "Zeit", den ich als außerordentlich gelungen empfinde.

Montag, 2. Januar 2017

Von Silvester 2015 zu Silvester 2016 - Zum Standing der deutschen Polizei

Im Jahr 2016 wurde Twitter absolut zu meinem Medium. Das erklärt auch die lange Abstinenz hier.
Einige Dinge lassen sich jedoch nur schwer in 140 Zeichen fassen, insbesondere wenn es um Themen geht, bei denen die Volksseele brodelt und eine in unserem Land selten zuvor erlebte Polarität besteht.
In Deutschland wie in ganz Europa spielen Themen wie die Flüchtlingsbewegungen durch Kriege, das Erstarken rechtsnationaler Kräfte und der kippende Zusammenhalt der Gesellschaft eine immer größere Rolle in den letzten Monaten.

Auf die Polizei als fleischgewordene ausführende Kraft der staatlichen Gewalt hat diese Situation natürlich nicht nur unerhebliche Auswirkungen. Gerade der gesellschaftliche Dissenz bei vielen Themen hat verstärkt den Weg auf die Straße gefunden, geradezu explodiert sind jedoch die Erörterungen in der Onlinewelt. Jeder hat eine Meinung. Viele haben diese auch stets artikuliert, in Zeiten massenhafter Nutzung von sozialen Portalen wie Facebook oder (Micro-) Bloggingdiensten wie Twitter bekommt das aber potentiell jeder andere Internetnutzer auch zu spüren. Die Reibeflächen haben zugenommen, wohingegen früher Polarisierendes eher am Stammtisch, im Sport- oder Dackelzüchterverein oder klassisch in politischen Ortsverbänden ausgetauscht wurde.
Hatespeech hat einen derart radikalen Zuwachs erfahren, dass sich Betroffene oder ungläubig staunende Dritte oft nur mit Mitteln wie Hatepoetry o.ä. zu wehren vermögen. Die staatliche Keule gegen die Verbreitung solcher Beleidigungen, Drohungen oder Hasstiraden ist bekanntermaßen eher aus Pappe. Oder der Arm, der sie schwingt.
Über die gesamtgesellschaftliche Stimmung zu philosophieren fehlen mir Zeit, Kraft und die nötige Ruhe. Bleibt noch ein Blick auf das Spannungsfeld, das sich für die Polizei auftut:
Die Belastungen durch technisch-organisatorische Hilfe zur Bewältigung der Flüchtlingssituation, zunehmende Demonstrationen der politisch entgegenstehenden Lager oder eben der erhebliche Mehraufwand an Ermittlungen in Fällen von Hatespeech - zu tun ist viel, an Ressourcen mangelt es. Neu hinzugekommen ist die vom Abstrakten langsam immer mehr ins Konkrete gewandelte Gefahr durch Terroranschläge. Nach den fürchterlichen Bildern aus Paris 2015 schlich die Gefahr im Frühjahr erst nach Brüssel und erreichte anschließend Deutschland mit verschiedenen tragischen Einzelaktionen, deren Gipfel sich auf dem Berliner Breitscheidplatz abbildete.
Kurzum: Selbst wenn Personal und Sachausstattung plötzlich viel weniger ein Thema als in den letzten 15 Jahren sind, gutes Personal muss ausgebildet werden. Und auch professionelles Schutzequipment oder forensische Spezialausrüstung fällt nicht von den Bäumen, sondern muss sorgfältig ausgewählt, erprobt und dann von geschultem Personal eingesetzt werden.

Das Bild, dass Polizistinnen und Polizisten in Deutschland häufig am Limit arbeiten oder gar weit drüber hinaus (gewisse Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Räumen mag es geben) bestätige ich ohne weiteres. Die meisten gesellschaftlichen Kräfte in unserem Land haben eingesehen, dass man da seit vielen Jahren in ein Defizit gerauscht ist.

Was ich jedoch nicht wirklich mittrage und wofür es mir an Verständnis fehlt, ist der häufig zu vernehmende Klageruf nach mehr Wertschätzung.
Ja, auch in diesem Bereich ist deutlich Luft nach oben. Aber ist dies denn ernsthaft zu erreichen, wenn man immer brüllend mit dem Finger auf die wehe Stelle zeigt?
Polizei muss sich im Wandel der Zeit mehr als Dienstleister verstehen. Wir schützen ein hohes Gut (Sicherheit), sind als Berater für die Bevölkerung da, um für Kriminalitätsgefahren zu sensibilisieren und wollen im worst case durch effiziente und hochwertige Ermittlungen Straftaten aufklären und Delinquenten der Justiz überantworten. Und ehrlich: Wenn ich als Kunde unter Hinweis auf die schwierige Lage häufig angemault werde, baut sich zu dem Dienstleister nicht gerade ein Vertrauensverhältnis auf. Es könnte als geringe Professionalität und Glaubwürdigkeit interpretiert werden.

Dem ersten Anschein nach gut verlaufene Einsatzlagen wie bei der Amoktat in München im Sommer folgen dann auch regelmäßig und schnell Fragen, ob denn wirklich alles so ordentlich zuging. Auch die ersten Ermittlungen nach dem Anschlag am Breitscheidplatz boten Experten und Möchtegern-Experten viel Angriffsfläche für Kritik oder gar Verschwörungstheorien.

Natürlich kann dies frustrierend auf Einsatzkräfte wirken. Aber sollten Polizistinnen und Polizisten nicht optimaler Weise Vollprofis sein, die auf Kritik nicht reflexartig mit Abwehr reagieren?
Wer gut arbeitet, muss sich vor kritischen Fragen nicht verstecken. Und dass großartig verlaufene Einsatzaspekte - ich möchte exemplarisch mal die Krisenkommunikation in München und Berlin herausstellen - sich positiv auf das Gesamtbild auswirken, ist auch unbestritten.

Das Hauptproblem bei der Wehklage (die nach meinem Empfinden übrigens eher schlecht ankommt in der Bevölkerung) ist, dass huckepack auf dem Rücken exponierter Vorfälle bestimmte Vorgehensweisen pauschal heiliggesprochen werden und man abweisend, gar empört auf Kritik reagiert. Als besonders belastend empfinde ich hierbei Verlautbarungen bestimmter Gruppierungen, die - selbst und mit voller Absicht so gesteuert - gern für sich in Anspruch nehmen, für "die Polizei" zu sprechen.

Kenner der Szene wissen, dass ich hier natürlich Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), im Sinn habe. Ich habe mich zu seinen meines Erachtens unsäglichen Auftritten und Entgleisungen bereits an anderer Stelle geäußert.

Jedoch ist seitdem eine Menge Wasser die Spree runtergeflossen und gefühlt ist Herr Wendt seit dem Sommer mit einer Omnipräsenz am Werke, bei der es mich schüttelt. Klar ist, dass auch die Medien dies mitverantworten, wenn sie ihn stets als "Experten" aus dem Ärmel schütteln. Liegen mag das wohl an der durchaus geschickten Art der Wendt'schen Selbstvermarktung, einer extrem schnellen Reaktionszeit des DPolG-Chefs und leider auch an einem Mangel an Alternativen. Könnte man Menschen wie den BDK-Vorsitzenden André Schulz klonen, ich würde sofort die Maschine anwerfen...
Erfreut hat mich zuletzt, dass der sehr geschätzte Richter Thomas Fischer es neulich auf sich nahm, das Buch von Rainer Wendt zu lesen und anschließend in der "Zeit" davon zu berichten.


Den Artikel kann ich nur empfehlen! Ein kleiner Auszug:

"Deutschland in Gefahr" ist nicht bloß ein inhaltlich unzutreffendes und literarisch schlechtes Buch. Bedauerlich ist, dass der Autor behauptet, Sprachrohr der deutschen Polizei zu sein. Dass er deren Interessen vertritt, ist zu bezweifeln. Sicher ist nur eins: Er vertritt die Interessen des Rainer Wendt.

Interessant aber auch die Leserreaktionen, die - wie sollte es anders sein - polarisieren. Vorstellen möchte ich hier eine Rückmeldung des Herrn Heienbrok:

Er formuliert heftig. Ich stimme in einigen Punkten aber mit ihm überein. Zudem finde ich die markierte Passage interessant und alarmierend zugleich. Die Frage, wie eine Polizistin oder ein Polizist in Deutschland so tickt, hat sich womöglich jeder einmal gestellt. Ich natürlich auch, schon lange bevor ich selbst den Beruf lernte.

In einem Interview aus dem April 2014 wurde ich einmal zitiert, dass meines Erachtens die Kollegschaft größtenteils konservativ-bürgerlich orientiert ist. Diese Äußerung habe ich als vorsichtig formuliert und sachlich empfunden. Eingebracht hat sie mir jedoch einigen Ärger damals.
Der Kontrast zu einem Rainer Wendt (und einigen, zumeist lokal auftretenden Gewerkschaftslautsprechern) mit seinen drastischen, häufig offen populistischen und auch unzutreffenden Äußerungen ist hoch. Nichtsdestotrotz wird solch ein Mensch von gewissen Kreisen gefeiert. Verstehen mag das, wer will.

Die brandaktuelle Diskussion um die Einsatzmaßnahmen der Polizei Köln zur Silvesternacht 2016 zeigen dann wiederum eins: Auch wenn die "richtige" Polizei (und nicht ein freigestellter Gewerkschaftsfunktionär) eine Lage mit später umstrittenen Mitteln bereinigt, ist der Umgang mit Kritik für mich nicht überzeugend. Ein Kölner Polizeipräsident, vor dem ich noch wenige Tage zuvor wegen seiner Gegenrede zu wirren Statements einer Alice Schwarzer den Hut gezogen habe, erscheint recht dünnwandig und verbittet sich Kritik an Methoden des Racial Profiling.
Hallo?! Nicht nur dass es gerichtlich als unzulässig erklärt wurde - es entspricht auch keinesfalls dem oben formulierten Dienstleistungsgedanken. Denn als Polizei können wir uns nicht aussuchen, wen wir heute mal gut und morgen vielleicht schlecht behandeln. Wir haben das Grundgesetz zu achten, ohne Wenn und Aber.
Auffällig übrigens, dass die Polizei Köln den Begriff "Nafris" 1:1 auch in den gleichlautenden Tweets in den Sprachen Englisch und Französisch übernommen hat. Dies deutet darauf hin, dass man einen feststehenden Terminus etablieren mag. Und somit ein Unwort gebrauchsfähig macht.

Siehe zum Vorfall auch das Statement von Amnesty International.

Abschließend will ich noch betonen, dass es keines jahrelangen Hochschulstudiums bedarf, um zu erkennen: Profiling gehört zur täglichen Polizeiarbeit. Racial Profiling aber (oder weiter gefasst: Social Profiling) ist eine schlechte Sache. Punkt. Es zerstört Vertrauen in die Polizei und in den demokratischen Staat. Insofern ist es geeignet, antidemokratische Tendenzen in der Gesellschaft noch zu stärken.
Wer zu Terrorzeiten im Schutze neu gedachter Sicherheitspolitik Verfahrensweisen durchsetzen möchte, die nicht unseren verfassungsmäßigen Grundsätzen entsprechen und Freiheitsrechte abbauen, begeht wohl keine Wohltat am Rechtsstaat.

Die Polizei macht unter dem Strich verdammt gute Arbeit! Aber falscher Umgang mit bestimmten Themen, unzeitgemäße Fehlerkultur, häufiges Beklagen mangelnder Wertschätzung und offen populistische Einzeläußerungen können eben genau zu dem werden: die Ursache für einen beachtlichen Vertrauensverlust.

Da hilft es wenig, wenn 99% der Polizistinnen und Polizisten perfekt arbeiten, diese Credits dann aber durch das verbleibende Prozent wieder verspielt werden. Und ja: Außenwirkung entsteht so. Bei einem Arzt, der den Tod seines hundertsten Patienten durch einen fehlerhaften Kunstgriff zu verantworten hat, wird auch dieser Vorfall öffentlich diskutiert, egal wie zufrieden die 99 anderen Patienten waren...

___________
Weitere Informationen zu Racial Profiling des Deutschen Instituts für Menschenrechte hier.

Freitag, 1. April 2016

#BeDeutsch

Es ist einfach zu genial, deshalb muss es auch hier mit rein:



Macht sowohl den einfachen Spaßjunkies als auch den unter den derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnissen leidenden Menschen viel Freude.

Vielen Dank, Böhmermann.


Mittwoch, 23. März 2016

Wendt Watch

Rainer Wendt
Von Hobbes1500 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27411451
Rainer Wendt heißt er, Duisburger, dieses Jahr 60 Jahre alt. Er ist der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und in dieser Eigenschaft reist er viel. Manchmal kann man sich fragen, ob er denn überhaupt ein Zuhause hat, tingelt er doch von Interviewtermin zu Interviewtermin, ist Stammgast in vielen TV-Studios und kennt jede Talkrunde Deutschlands wie seine Westentasche. Ein echter Profi also.
Wenn, ja wenn da nicht eine gewisse Abgehobenheit ob seiner höchstpersönlichen Thesen wäre. Eine oft radikale Meinung, die er als Privatmensch haben kann und soll. Aber die Grenzen verschwimmen, wird Herr Wendt doch häufig - und das stellt er mitnichten klar - öffentlich als "die Polizei" wahrgenommen. Dies führt dazu, dass geneigte*r Leser*in bzw. Zuschauer*in der Formate, in denen Rainer Wendt seine geistigen Ergüsse platziert, erstmal eine gewisse Nähe der Institution Polizei zu rechtslastigen Theorien und eben auch radikalen Thesen annehmen muss.

Ein paar Beispiele:



Artikel, die bei näherer Betrachtung eine One-Man-Show des Rainer Wendt sind, aber in der Überschrift heißt es irreführend "Die Polizei warnt", "Die Polizei beklagt" u.ä..

Es verärgert mich sehr, diese Einbahnstraßenlogik und populistischen Sprechdurchfälle im Zusammenhang mit der Polizei in den Medien vorzufinden zu müssen.
Der Ärger zielt nicht vollständig auf die Quelle all der Unsäglichkeiten, die aus Herrn Wendts Mund purzeln. Vielmehr steigert sich nahezu täglich mein Unverständnis, wie Dutzende (auch namhafte) Zeitungsredaktionen und TV-Sender weitestgehend unreflektiert einen Mann toben lassen, der sich mitunter wie der Donald Trump der deutschen Polizei aufführt und die ihm angebotene Bühne dankbar besteigt.

Mit den von ihm vertretenen Werten widerspricht er all dem, was ich unter einer menschenfreundlichen und vorurteilsfreien Bürgerpolizei verstehe, die ich mir in dieser Gesellschaft sehnlichst wünsche.
Wo andere mit leisen Tönen die Hand reichen, kommt ein Rainer Wendt daher und lässt den Hammer kreisen.

Zwar gibt es schon einige Sammlungen von Zitaten und Artikelübersichten zu Rainer Wendt (z.B. im BildBlog), trotzdem möchte ich hier auch einige Kostproben anbieten. Vielleicht gibt es ja tatsächlich noch Menschen, die ihn nicht kennen...

Rainer Wendt zum Umgang mit Demonstranten

„Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie.“

„Wenn Wasserwerfer nicht mehr reichen, müssen die Beamten Gummigeschosse einsetzen.“

Rainer Wendt zu Fußballfans

Stehplätze gehören abgeschafft, die Zäune erhöht. Wem zudem strenge Leibesvisitationen nicht passen, der soll vor dem Stadion bleiben müssen.“

Rainer Wendt zum Bundesverfassungsgericht

Es darf nicht sein, dass die Politik tatenlos zusieht, wie uns das Gericht die Hände bindet.

Rainer Wendt zum Datenschutz

„Bei uns regieren völlig überzogener Datenschutz, föderaler Egoismus und wilde Überwachungsfantasien von Politikern, die den Menschen immer wieder einreden wollen, die Polizei würde sie bespitzeln und aushorchen.“

Rainer Wendt zum Bundestagsvizepräsidenten (2011)

„Thierse ist eine Schande für das deutsche Parlament. Ich habe großen Respekt vor dem Bundestag, aber ich schäme mich für seinen Vizepräsidenten. Er muss zurücktreten.“
Quelle: Junge Freiheit, kein Link

Rainer Wendt zum Umgang mit geflüchteten Menschen

"Wenn wir ernst gemeinte Grenzkontrollen durchführen wollen, müssen wir einen Zaun entlang der deutschen Grenze bauen. Ich bin dafür, dass wir das machen."

Rainer Wendt zu jungen Muslimen in Deutschland

„Hier geht es um die Machokultur junger Muslime… Frauen muss man weder beachten noch respektieren. Das gehört fast zu den genetischen Grundbausteinen dieser Kultur.“

Rainer Wendt zu den Terroranschlägen in Brüssel


"Manchmal nimmt das [mit dem Datenschutz] schon alberne Züge an... Wir müssen da in eine neue Diskussion, denn man kann es auch übertreiben..."

Gerade die letze - zumal hochaktuelle - Aussage zeigt die Vorgehensweise des DPolG-Chefs: Das bewusste Spiel mit der Angst, um eine Legitimation für die Beschneidung von Bürgerrechten zu haben.

Es sei weiterhin angemerkt, dass Rainer Wendt nicht nur ein Feind der Grundregel "Erst denken, dann sprechen" ist, sondern außerdem auch noch recht unkritisch mit der Art und politischen Verortung der Medien, die er bedient. Er ist dafür bekannt, auch rechtsradikalen Verlagen mit seiner "Expertise" zur Verfügung zu stehen. Es erschienen bereits Interviews in der "Jungen Freiheit" und im Magazin "Compact".

Als er einmal kritisch hierzu befragt wurde, entgegnete er:

"Wenn ich gefragt werde, sage ich meine Meinung.“

Könnte irgendwie der Leitsatz des Rainer Wendt sein. Hauptsache Meinung. Ahnung und Anstand sind offenbar sekundär.


Freitag, 4. März 2016

American Refugees welcome

Wenn es schlecht läuft, werden sich im November Tausende, Zahntausende, vielleicht Hunderttausende auf die Flucht begeben. Aus Angst vor großem Übel, das im folgenden Januar dann über den nordamerikanischen Kontinent hereinbricht.
Ganz Nordamerika? Nein. Zum Glück gibt es immer noch ein kleines, feines Völkchen mit Empathie und Anstand, das in einem riesigen Land noch Platz hätte für die Vertriebenen.


#GoCanada

If Trump wins, we're going to have to help lots of U.S. refugees.Awesome cartoon by Bruce MacKinnon
Posted by Meanwhile in Canada on Freitag, 4. März 2016



Donnerstag, 25. Februar 2016

Clausnitz - aus Sicht des Dolmetschers aus dem Bus

Mal ganz ohne Worte.

Wolfram Fischer über die Übergriffe in Clausnitz
Wolfram Fischer wird diesen Tag in Clausnitz nie vergessen! Er war als Dolmetscher bei den Flüchtlingen im Bus, als ein wütender Mob den Bus blockierte. Wie er die Situation erlebt hat und warum er noch immer erschüttert ist? stern TV hat er es erzählt.
Posted by stern TV on Donnerstag, 25. Februar 2016



Dienstag, 23. Februar 2016

Freiwillige Jugendliche für Refugee-Sprachkurse in Steglitz-Zehlendorf gesucht!

Bist du Jugendliche*r und Ü14?

Möchtest dich für Refugees engagieren und etwas für deren Integration leisten?

Dafür sorgen, dass in Zeiten von Heidenau, Clausnitz und Bautzen im schönen Südwesten Berlins eine menschliche und warmherzige Willkommenskultur herrscht?

Dann voilà:




Samstag, 30. Januar 2016

Die AfD und ihre kranke Auffassung, was Polizist*innen an deutschen Außengrenzen zu tun hätten


An dieser Stelle veröffentliche ich ein Statement meines Bekannten Armin aus Freiburg, der in seiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender von PolizeiGrün e.V. deutliche Worte zum jüngsten AfD-Bullshit gefunden hat.
Worte, hinter denen auch ich zu 100% stehe.

Eigentlich rechnet man bei der AfD mit allem, aber wenn man das dann liest, dann ist man doch erst einmal platt....
Posted by PolizeiGrün e.V. on Samstag, 30. Januar 2016


Mittwoch, 27. Januar 2016

Lügenpresse? Bullshit...!

Heute könnte einem wieder mal echt der Hut hochgehen!
Die Schande Berlins, ach ganz Deutschlands - das LAGeSo mitten in der Hauptstadt eines der reichsten und wohlhabendsten Länder dieser Welt - hat wieder einmal Schlagzeilen gemacht.
Ein toter syrischer Asylsuchender, der trotz seines jungen Alters die vielen Nächte in der feuchten Kälte vor diesem Amt des Grauens nicht mehr verkraften konnte und verstarb. Ein echter Aufschrei ging heute durch die Medienlandschaft. Twitter kochte. Der restliche Onlinejournalismus brodelte. Aktivisten standen kurz vor der Explosion. Köpfe wurden gefordert.
Und das Ergebnis? Alles nicht wahr!
Das Ganze erinnert an Silvester 2015 in Köln? Oder vielmehr an die unterirdische Medienarbeit von Polizei, Verwaltung und Politik zu Neujahr und die Tage drauf?
Ja, klar. Denn die Ursache ist dieselbe.

Ich wurde in den vergangenen Monaten beim Begleiten von Demonstrationen und Aufzügen selbst schon von Menschen, die ich jahrelang kenne und zu schätzen wusste, auf die dubiose Situation der Medien angesprochen. "Man kann nichts mehr glauben. Nirgendwo kann man sich objektiv informieren!".
Warum bitte wird dann aber immer gern der größte Scheiß geglaubt, nur weil es gerade zur eigenen Stimmung passt und man gewiss sein kann, dass genug Knallbirnen mit großem Aufschrei mit auf den Zug springen?

Gleiches Ding bei der mutmaßlichen Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens, nachdem diese von mehreren Asylsuchenden entführt worden sein sollte. Nur ist nach den bisherigen Ermittlungen wohl nichts dran an der Sache, wie die Polizei und Staatsanwaltschaft in Pressemeldungen und den sozialen Netzwerken berichten.
Es ist auch kein Geheimnis, dass viele Menschen Legenden erfinden, um selbst Dinge zu vertuschen oder auch nur, um einmal im Fokus zu stehen, wichtig zu sein.
Ein vollkommen normales Ermittlungsergebnis, wie so häufig? Falsch gedacht. Denn wir haben ja gerade die große "Krise" im Land, in Europa. Da sind Schuldige schnell gefunden und die Wahrheit ebenso fix vergessen. Und ja, da ist ja noch ein Bezug zum großen Russland, dessen Außenminister sich nun nicht einmal zu schade war, in die Berliner Lokalpolitik einzugreifen und die Polizei Berlin heftig zu kritisieren. Nicht nur, dass es ein wohl einmaliger Vorfall ist. Nein, es ist allzu durchsichtig, dass hier gern von eigenen innen- und außenpolitischen Problemen abgelenkt werden soll. Außerdem schön, dass man nach der Sanktionskeule der Europäer nun mal zurückpöbeln kann, russisches Staatsfernsehen hierbei mit der Kamera im Anschlag...


Egal wohin man die Tage also guckt: Überall werden von verschiedensten Stellen und Menschen Meinungen offiziell gefärbt, vorschnell veröffentlicht und entwickeln im Jahr 2016 dank der vorhandenen Werkzeuge gern mal eine Viralität, die sich selbst Virenforscher vor einigen Jahren wohl noch nicht haben denken können.

Ist also die Presse eine Lügenpresse? Allein das Wort ist schon eine Frechheit. Die Antwort lautet natürlich nein. Bedenkt man, welche Macht, welchen Marktwert auf dem Basar der Meinungen auch noch so blasse Durchschnittsmenschen, Kommunalpolitiker, Comedians und erst recht begnadete Trolle, gern auch mal von Institutionen gezielt in die Spur geschickt, dank sozialer Netzwerke haben. Die Presse hat also eher ein Behauptungsproblem.
Der Boulevard, den ich seit meiner frühen Jugend eher skeptisch beäuge, spielt natürlich gern mal mit dem Feuer, sprich mit populistischer und teils gefährlicher Gratwanderung in der Berichterstattung. Effektheischend und reißerisch muss eben sein, das war schon vor 100 Jahren so. Aber im Großen und Ganzen kann der seriösen Presse kein wirklicher Vorwurf gemacht werden. Außer eben, sich vom Freizeitjournalisten mit dem Smartphone in der Hand die Butter vom Brot nehmen zu lassen.


Die Balance zwischen gehetzt-unmittelbarem, dafür auch fehleranfälligem Effektfeuerwerk einerseits und unaufgeregter, manchmal träger und unbestechlich-sachlicher Berichterstattung andererseits wird das Qualitätsindiz künftiger journalistischer Bemühungen in unserem Land sein.
Und alle Aktivisten, Politiker und Funktioner jedweder Verbände: ihr tätet gut daran, euch ebenso dahingehend zu orientieren.
So, und ich denke nur so, können wir den neuen selbsternannten Hütern der Meinungshoheit von Pegida (samt allen Blödgida-Ablegern), AfD und allen Trittbrettfahrern und politischen Brandstiftern ihren künftigen Erfolg streitig machen.


Mittwoch, 23. Dezember 2015

Polizeibeamte = Soldaten?

Soldier Cops.


Der US-amerikanische Autor und Journalist Radley Balko („Rise oft he Warrior cop“) sieht in ihnen den Ausdruck einer höchstgefährlichen Entwicklung, wie sie die USA in den vergangenen Jahren genommen hat. „Wenn wir Polizeibeamte wie Soldaten trainieren, ihnen militärische Ausrüstung geben, sie wie Soldaten anziehen und ihnen sagen, dass sie einen Krieg führen – gegen Verbrechen oder gegen Terror – dann beginnen sie, sich selbst als Soldaten zu sehen.“


Klaus Stuttmann sieht das so:




Diese Diskussion ist aufgrund vielfältiger Bestrebungen diverser federführender Innenpolitiker auch in Deutschland angekommen, die jüngsten Terrorakte im benachbarten Ausland haben die entsprechenden Pläne noch beflügelt.

Gerade auch in Zeiten, in denen Hunderttausende Schutzsuchende aus Kriegsregionen europäische Grenzen zu passieren versuchen, bieten Tausende (Grenz-) Polizist*innen durch ihre Ausrüstung und die ihnen vorgegebenen Verhaltensweisen das Bild einer Armee, die ein Bollwerk verteidigen muss.

In meiner polizeilichen Auslandsmission habe ich ebenfalls Kollegen erlebt, bei denen die Grenze Polizist/Soldat zu verschwimmen schien, vor allem in der Selbstwahrnehmung.
Im täglichen Dienst der Polizist*innen hierzulande ist bereits eine Aufrüstung des Materials zu beobachten, die in aller Regel selbst gewählt ist (teilweise werden persönlich dazugekaufte Ausrüstungsgegenstände verwendet) und meines Erachtens eindeutig auch das Verhalten der Einsatzkräfte beeinflusst. Von einer gewünschten Bürgerpolizei entfernt man sich somit mit Lichtgeschwindigkeit...

Um Terrorabwehr kümmern sich in der Hauptsache die Spezialeinheiten von Bund und Ländern. Diese haben mit dem "normalen Bürger" in aller Regel nicht so viel zu tun, können hier also auch nicht so viel Porzellan zerschlagen, wenn mal etwas rüder aufgetreten wird.
Beim normalen Streifenpersonal der deutschen Polizei ist es anders. Hier werden gerade viele Hämmer geschwungen in den Porzellanläden.

Um den mutmaßlich zunehmenden Angriffen auf Polizeibeamt*innen entgegen zu treten, bedarf es einer besseren Aus- und Fortbildung in Eigensicherung und Kommunikationskompetenz.
Martialisches Aufrüsten ist hier eher das falsche Signal und trägt zur Verunsicherung der Bevölkerung bei und lässt die "Freunde und Helfer" perspektivisch zu unnahbaren paramilitärischen Einheiten verkommen.



Dienstag, 22. Dezember 2015

Eine Million Gäste - Deutschland, Europa und die Fremden

Am 10. September 1964 wurde Armando Rodrigues de Sá aus Portugal in Köln empfangen. Er wurde als "Einmillionster Gastarbeiter in Deutschland" begrüßt. Er wurde vielfach fotografiert. Er erhielt ein Moped als Geschenk.


Armando ging in die Fremde, weil er wirtschaftlich voran kommen wollte. Nicht weil er verfolgt und mit dem Tode bedroht wurde.

Heute meldet tagesschau.de den einmillionsten Flüchtling in Europa. Wie valide auch immer diese Zahl ist, im Zweifelsfall liegt sie eher höher.
Was Deutschland und Europa seit vielen Monaten verstärkt erleben, hat eine andere Dimension. Aber es handelt sich um Menschen, die vor schrecklichen Dingen fliehen und daheim dem Tode nahe wären. Sie wollen ihr Überleben sichern, zu allermeist nichts weiter.
Wen kann es dann nicht erschrecken, seit Monaten immer wieder die selben Bilder der Verzweiflung zu sehen?


Zwischen den Aufnahmen liegen 51 Jahre.

Dieser Umstand lässt die Frage aufkommen, ob und wie wir uns im reichen Europa, im reichen Deutschland überhaupt weiterentwickelt haben.

Jeder fühlende Mensch mit gesundem Verstand und offenem Herzen muss Schreien vor Entsetzen. Und kann nur verzweifeln an dieser Welt.