Montag, 2. Januar 2017

Von Silvester 2015 zu Silvester 2016 - Zum Standing der deutschen Polizei

Im Jahr 2016 wurde Twitter absolut zu meinem Medium. Das erklärt auch die lange Abstinenz hier.
Einige Dinge lassen sich jedoch nur schwer in 140 Zeichen fassen, insbesondere wenn es um Themen geht, bei denen die Volksseele brodelt und eine in unserem Land selten zuvor erlebte Polarität besteht.
In Deutschland wie in ganz Europa spielen Themen wie die Flüchtlingsbewegungen durch Kriege, das Erstarken rechtsnationaler Kräfte und der kippende Zusammenhalt der Gesellschaft eine immer größere Rolle in den letzten Monaten.

Auf die Polizei als fleischgewordene ausführende Kraft der staatlichen Gewalt hat diese Situation natürlich nicht nur unerhebliche Auswirkungen. Gerade der gesellschaftliche Dissenz bei vielen Themen hat verstärkt den Weg auf die Straße gefunden, geradezu explodiert sind jedoch die Erörterungen in der Onlinewelt. Jeder hat eine Meinung. Viele haben diese auch stets artikuliert, in Zeiten massenhafter Nutzung von sozialen Portalen wie Facebook oder (Micro-) Bloggingdiensten wie Twitter bekommt das aber potentiell jeder andere Internetnutzer auch zu spüren. Die Reibeflächen haben zugenommen, wohingegen früher Polarisierendes eher am Stammtisch, im Sport- oder Dackelzüchterverein oder klassisch in politischen Ortsverbänden ausgetauscht wurde.
Hatespeech hat einen derart radikalen Zuwachs erfahren, dass sich Betroffene oder ungläubig staunende Dritte oft nur mit Mitteln wie Hatepoetry o.ä. zu wehren vermögen. Die staatliche Keule gegen die Verbreitung solcher Beleidigungen, Drohungen oder Hasstiraden ist bekanntermaßen eher aus Pappe. Oder der Arm, der sie schwingt.
Über die gesamtgesellschaftliche Stimmung zu philosophieren fehlen mir Zeit, Kraft und die nötige Ruhe. Bleibt noch ein Blick auf das Spannungsfeld, das sich für die Polizei auftut:
Die Belastungen durch technisch-organisatorische Hilfe zur Bewältigung der Flüchtlingssituation, zunehmende Demonstrationen der politisch entgegenstehenden Lager oder eben der erhebliche Mehraufwand an Ermittlungen in Fällen von Hatespeech - zu tun ist viel, an Ressourcen mangelt es. Neu hinzugekommen ist die vom Abstrakten langsam immer mehr ins Konkrete gewandelte Gefahr durch Terroranschläge. Nach den fürchterlichen Bildern aus Paris 2015 schlich die Gefahr im Frühjahr erst nach Brüssel und erreichte anschließend Deutschland mit verschiedenen tragischen Einzelaktionen, deren Gipfel sich auf dem Berliner Breitscheidplatz abbildete.
Kurzum: Selbst wenn Personal und Sachausstattung plötzlich viel weniger ein Thema als in den letzten 15 Jahren sind, gutes Personal muss ausgebildet werden. Und auch professionelles Schutzequipment oder forensische Spezialausrüstung fällt nicht von den Bäumen, sondern muss sorgfältig ausgewählt, erprobt und dann von geschultem Personal eingesetzt werden.

Das Bild, dass Polizistinnen und Polizisten in Deutschland häufig am Limit arbeiten oder gar weit drüber hinaus (gewisse Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Räumen mag es geben) bestätige ich ohne weiteres. Die meisten gesellschaftlichen Kräfte in unserem Land haben eingesehen, dass man da seit vielen Jahren in ein Defizit gerauscht ist.

Was ich jedoch nicht wirklich mittrage und wofür es mir an Verständnis fehlt, ist der häufig zu vernehmende Klageruf nach mehr Wertschätzung.
Ja, auch in diesem Bereich ist deutlich Luft nach oben. Aber ist dies denn ernsthaft zu erreichen, wenn man immer brüllend mit dem Finger auf die wehe Stelle zeigt?
Polizei muss sich im Wandel der Zeit mehr als Dienstleister verstehen. Wir schützen ein hohes Gut (Sicherheit), sind als Berater für die Bevölkerung da, um für Kriminalitätsgefahren zu sensibilisieren und wollen im worst case durch effiziente und hochwertige Ermittlungen Straftaten aufklären und Delinquenten der Justiz überantworten. Und ehrlich: Wenn ich als Kunde unter Hinweis auf die schwierige Lage häufig angemault werde, baut sich zu dem Dienstleister nicht gerade ein Vertrauensverhältnis auf. Es könnte als geringe Professionalität und Glaubwürdigkeit interpretiert werden.

Dem ersten Anschein nach gut verlaufene Einsatzlagen wie bei der Amoktat in München im Sommer folgen dann auch regelmäßig und schnell Fragen, ob denn wirklich alles so ordentlich zuging. Auch die ersten Ermittlungen nach dem Anschlag am Breitscheidplatz boten Experten und Möchtegern-Experten viel Angriffsfläche für Kritik oder gar Verschwörungstheorien.

Natürlich kann dies frustrierend auf Einsatzkräfte wirken. Aber sollten Polizistinnen und Polizisten nicht optimaler Weise Vollprofis sein, die auf Kritik nicht reflexartig mit Abwehr reagieren?
Wer gut arbeitet, muss sich vor kritischen Fragen nicht verstecken. Und dass großartig verlaufene Einsatzaspekte - ich möchte exemplarisch mal die Krisenkommunikation in München und Berlin herausstellen - sich positiv auf das Gesamtbild auswirken, ist auch unbestritten.

Das Hauptproblem bei der Wehklage (die nach meinem Empfinden übrigens eher schlecht ankommt in der Bevölkerung) ist, dass huckepack auf dem Rücken exponierter Vorfälle bestimmte Vorgehensweisen pauschal heiliggesprochen werden und man abweisend, gar empört auf Kritik reagiert. Als besonders belastend empfinde ich hierbei Verlautbarungen bestimmter Gruppierungen, die - selbst und mit voller Absicht so gesteuert - gern für sich in Anspruch nehmen, für "die Polizei" zu sprechen.

Kenner der Szene wissen, dass ich hier natürlich Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), im Sinn habe. Ich habe mich zu seinen meines Erachtens unsäglichen Auftritten und Entgleisungen bereits an anderer Stelle geäußert.

Jedoch ist seitdem eine Menge Wasser die Spree runtergeflossen und gefühlt ist Herr Wendt seit dem Sommer mit einer Omnipräsenz am Werke, bei der es mich schüttelt. Klar ist, dass auch die Medien dies mitverantworten, wenn sie ihn stets als "Experten" aus dem Ärmel schütteln. Liegen mag das wohl an der durchaus geschickten Art der Wendt'schen Selbstvermarktung, einer extrem schnellen Reaktionszeit des DPolG-Chefs und leider auch an einem Mangel an Alternativen. Könnte man Menschen wie den BDK-Vorsitzenden André Schulz klonen, ich würde sofort die Maschine anwerfen...
Erfreut hat mich zuletzt, dass der sehr geschätzte Richter Thomas Fischer es neulich auf sich nahm, das Buch von Rainer Wendt zu lesen und anschließend in der "Zeit" davon zu berichten.


Den Artikel kann ich nur empfehlen! Ein kleiner Auszug:

"Deutschland in Gefahr" ist nicht bloß ein inhaltlich unzutreffendes und literarisch schlechtes Buch. Bedauerlich ist, dass der Autor behauptet, Sprachrohr der deutschen Polizei zu sein. Dass er deren Interessen vertritt, ist zu bezweifeln. Sicher ist nur eins: Er vertritt die Interessen des Rainer Wendt.

Interessant aber auch die Leserreaktionen, die - wie sollte es anders sein - polarisieren. Vorstellen möchte ich hier eine Rückmeldung des Herrn Heienbrok:

Er formuliert heftig. Ich stimme in einigen Punkten aber mit ihm überein. Zudem finde ich die markierte Passage interessant und alarmierend zugleich. Die Frage, wie eine Polizistin oder ein Polizist in Deutschland so tickt, hat sich womöglich jeder einmal gestellt. Ich natürlich auch, schon lange bevor ich selbst den Beruf lernte.

In einem Interview aus dem April 2014 wurde ich einmal zitiert, dass meines Erachtens die Kollegschaft größtenteils konservativ-bürgerlich orientiert ist. Diese Äußerung habe ich als vorsichtig formuliert und sachlich empfunden. Eingebracht hat sie mir jedoch einigen Ärger damals.
Der Kontrast zu einem Rainer Wendt (und einigen, zumeist lokal auftretenden Gewerkschaftslautsprechern) mit seinen drastischen, häufig offen populistischen und auch unzutreffenden Äußerungen ist hoch. Nichtsdestotrotz wird solch ein Mensch von gewissen Kreisen gefeiert. Verstehen mag das, wer will.

Die brandaktuelle Diskussion um die Einsatzmaßnahmen der Polizei Köln zur Silvesternacht 2016 zeigen dann wiederum eins: Auch wenn die "richtige" Polizei (und nicht ein freigestellter Gewerkschaftsfunktionär) eine Lage mit später umstrittenen Mitteln bereinigt, ist der Umgang mit Kritik für mich nicht überzeugend. Ein Kölner Polizeipräsident, vor dem ich noch wenige Tage zuvor wegen seiner Gegenrede zu wirren Statements einer Alice Schwarzer den Hut gezogen habe, erscheint recht dünnwandig und verbittet sich Kritik an Methoden des Racial Profiling.
Hallo?! Nicht nur dass es gerichtlich als unzulässig erklärt wurde - es entspricht auch keinesfalls dem oben formulierten Dienstleistungsgedanken. Denn als Polizei können wir uns nicht aussuchen, wen wir heute mal gut und morgen vielleicht schlecht behandeln. Wir haben das Grundgesetz zu achten, ohne Wenn und Aber.
Auffällig übrigens, dass die Polizei Köln den Begriff "Nafris" 1:1 auch in den gleichlautenden Tweets in den Sprachen Englisch und Französisch übernommen hat. Dies deutet darauf hin, dass man einen feststehenden Terminus etablieren mag. Und somit ein Unwort gebrauchsfähig macht.

Siehe zum Vorfall auch das Statement von Amnesty International.

Abschließend will ich noch betonen, dass es keines jahrelangen Hochschulstudiums bedarf, um zu erkennen: Profiling gehört zur täglichen Polizeiarbeit. Racial Profiling aber (oder weiter gefasst: Social Profiling) ist eine schlechte Sache. Punkt. Es zerstört Vertrauen in die Polizei und in den demokratischen Staat. Insofern ist es geeignet, antidemokratische Tendenzen in der Gesellschaft noch zu stärken.
Wer zu Terrorzeiten im Schutze neu gedachter Sicherheitspolitik Verfahrensweisen durchsetzen möchte, die nicht unseren verfassungsmäßigen Grundsätzen entsprechen und Freiheitsrechte abbauen, begeht wohl keine Wohltat am Rechtsstaat.

Die Polizei macht unter dem Strich verdammt gute Arbeit! Aber falscher Umgang mit bestimmten Themen, unzeitgemäße Fehlerkultur, häufiges Beklagen mangelnder Wertschätzung und offen populistische Einzeläußerungen können eben genau zu dem werden: die Ursache für einen beachtlichen Vertrauensverlust.

Da hilft es wenig, wenn 99% der Polizistinnen und Polizisten perfekt arbeiten, diese Credits dann aber durch das verbleibende Prozent wieder verspielt werden. Und ja: Außenwirkung entsteht so. Bei einem Arzt, der den Tod seines hundertsten Patienten durch einen fehlerhaften Kunstgriff zu verantworten hat, wird auch dieser Vorfall öffentlich diskutiert, egal wie zufrieden die 99 anderen Patienten waren...

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Weitere Informationen zu Racial Profiling des Deutschen Instituts für Menschenrechte hier.

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