Gestern habe ich mich eher allgemein zur momentanen schwierigen Lage für die Polizei in Deutschland geäußert. Das Thema "Silvester Köln Hbf." habe ich dabei nur angerissen. Da ich mich aber durchaus positioniert habe, möchte ich hiermit noch einmal konkretisieren und ergänzen:
(Vorbemerkung: ich war persönlich nicht dabei und habe auch - weder privat noch dienstlich - von an dem Einsatz beteiligten oder betroffenen Personen Informationen erhalten; ich beziehe sämtliche Fakten auch nur aus den offen zugänglichen Medien)
Foto: pixabay.de, CC0 Public Domain |
Der Polizeipräsident und auch das Bundesinnenministerium haben sich hierzu bereits entsprechend geäußert.
Ich sage zwar nicht "Schwamm drüber!" (denn solche Fehlgriffe erschüttern das Vertrauen in eine vorurteilsfreie Polizei), möchte diesen Umstand jedoch von der Fragestellung "War es Racial Profiling?" abkoppeln.
Erst einmal muss klar sein, dass es als Antwort auf diese Frage kein eindeutiges "ja" oder "nein" geben kann. Das ist bei einer großen Personengruppe der polizeilich Betroffenen (850 Menschen oder mehr) und einem enormen Kräfteansatz der Polizei (1.700 Beamt*innen oder mehr) gar nicht möglich. Nicht Jede*r innerhalb der beiden Gruppen kann denselben oder einen gleichen Vorsatz gehabt haben wie die jeweils Mitbetroffenen.
Anders ist es schon, wenn man Einzelfälle betrachtet, über welche auch i.d.R. die Gerichte geurteilt haben, z.B. die Polizist*innen, die in der Bahn oder einem großen, stark frequentierten Platz ausschließlich die Personen mit Maßnahmen überziehen, die erkennbar nichtdeutschen Phänotyps sind und sich komplett unverdächtig verhielten.
Weshalb sollte der Einsatz am Kölner Hauptbahnhof in seiner Gesamtheit also den Verdacht auf Racial Profiling erweckt haben können?
Mir persönlich stellen sich verschiedene Fragen, gerade auch im Hinblick auf den Vorhalt einiger Kritiker, dass die verfassungsmäßig geforderte Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wurde:
- Wie konnte der Eindruck entstehen, dass die Polizei mit massiven Kräften vor Ort war, dort aber diese große Personengruppe anreiste, als wäre sie "vom Himmel gefallen"?
- Warum gab es keine Voraufklärung dahingehend, dass bereits der Zustrom zum Hauptbahnhof (im ÖPNV oder auch mit der Deutschen Bahn) besser kontrolliert und gelenkt/abgeleitet wurde? So hätte sich der massive Kontrollaufwand mit der entsprechenden medialen Außenwirkung leichthin vermeiden lassen.
- Warum (und das ist meine Kernfrage!) hat man zwar ein Jahr Zeit für eine Lageplanung gehabt, diese aber offenbar nicht für eine angemessene Vorfeldkommunikation genutzt? Damit meine ich, dass man die Zielgruppe (also die mutmaßlich "nordafrikanischen Männer" und auch sonstige Flüchtlings- und Zuwanderergruppen) in den Wochen und Tagen vor Silvester beratend aufsucht und dort normverdeutlichend erklärt, dass unter Hinweis auf das vorige Silvesterfest verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gelten und dass man von einer Anreise zum Kölner Hbf. abrät.
- In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob zureichend auf die Heim- und Unterkunftsbetreiber und auch sonstige Netzwerkpartner (Moscheevereine usw.) im Vorfeld zugegangen wurde.
- Gab es Hinweise, Plakate o.ä. sowie Posts in von der Zielgruppe genutzten (sozialen) Netzwerken, um die betreffenden Personen zu erreichen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die aus Silvester 2015 entstandene Diskussion nicht auch bei den nun überprüften Menschen Erörterung fand. Dann muss dort auch bekannt gewesen sein, dass die Polizei eine Wiederholung der unsäglichen Vorfälle verhindern wird. Ich kann nicht in jeden Kopf einzeln hineinschauen, aber sollte denn wirklich jeder der betroffenen 850 (oder mehr) Männer dort betrunken und/oder aggressiv und auf Konfrontation aus gewesen sein? Wurde eine Alkoholisierung geprüft?
Und selbst wenn: Die Menschen wurden kontrolliert und dann geregelt vom Platz des Geschehens geschafft. Ich denke nicht, dass sie von der Polizei einzeln "nach Hause" eskortiert wurden. Wahrscheinlich wurden sie in größeren Gruppen an anderer Stelle entlassen. Aber warum haben sie dann, betrunken und aggressiv, nicht an dieser Stelle randaliert?
Vielleicht gibt es ja auf alle meine Fragen eine absolut adäquate polizeiliche Erklärung, sodass wirklich in keiner Weise ein Vorwurf berechtigt wäre.
Aber dann hätte ich mir gewünscht, dies vom Polizeipräsidenten auch so in den Medien präsentiert zu bekommen. Stattdessen hat er (mit Verzögerung) zwar die fehlerhafte Verwendung des Unwortes "Nafris" bedauert, zu den Einsatzumständen jedoch nicht zureichend berichtet, sondern sich vielmehr dünnhäutig gegen Kritik gewehrt.
Falls nicht alles getan wurde, um dem massiven Auftreten der Personengruppe bereits im Vorfeld entgegenzuwirken, dann gibt es in der Tat Probleme mit der Verhältnismäßigkeit, ganz einfach weil angemessene Präventionsmaßnahmen versäumt wurden.
Mein Fazit:
Wie viele polizeiliche "Skandälchen" scheint auch dieser leider hausgemacht.
Sowohl zureichende Präventionsmaßnahmen im Vorfeld als auch eine entsprechende zielgerichtete Kommunikation/Gefährderansprache hätten viel bewirken und vermeiden können. Weiterhin hätte man sich das "Nafri"-Gate durch mehr Fingerspitzengefühl sparen können, denn dieser Lapsus hat viele Kritiker erst auf den Plan gerufen.
Sowohl zureichende Präventionsmaßnahmen im Vorfeld als auch eine entsprechende zielgerichtete Kommunikation/Gefährderansprache hätten viel bewirken und vermeiden können. Weiterhin hätte man sich das "Nafri"-Gate durch mehr Fingerspitzengefühl sparen können, denn dieser Lapsus hat viele Kritiker erst auf den Plan gerufen.
Klarstellend auch: Wer zumindest Zweifel an dem von vielen als "sehr gut" wahrgenommenen Verlauf der Einsatzmaßnahmen äußert, ist mitnichten gleich ein Polizeifeind, ein Haar-in-der-Suppe-Sucher oder gar ein Befürworter von Sexual- oder Gewalttaten, egal von wem sie begangen werden.
Wahnsinn: Wissenschaftler behaupten, dass man sowohl rassistische Sprache kritisieren und gleichzeitig für Polizeiarbeit dankbar sein kann.— Jens Scholz (@jensscholz) 2. Januar 2017
Vielleicht sind die Menschen, die unter Inanspruchnahme ihres Rechts auf Nachfrage (Politiker, Medienmenschen pp.) Antworten einfordern, einfach nur um Bürger- und Freiheitsrechte besorgt. Und dann verdienten sie Dank und nicht Kopfschütteln vom gesellschaftlichen Mainstream oder Todesdrohunugen vom rechten Schwachmatenrand.
Ich bin sicher, dass man die polizeilichen Maßnahmen in Köln nicht freudetrunken abfeiern muss, um Dank für die Polizei als Beschützer und Helfer (und zwar überall in Deutschland, 24/7) zu empfinden!
Der Dissenz zwischen den Menschen in dieser Gesellschaft wird immer mehr befeuert, wenn solche Ereignisse sogleich zu einer Lagerbildung sowie zu verbissenen Diskussionen bis hin zu Hatespeech führen.
Ein wenig mehr Sachlichkeit, Abkehr von Dogmen und Hinwendung zu menschlichem, zielorientiertem Umgang miteinander wäre schön.
Abschließend von mir noch eine Leseempfehlung zu einem Artikel von Christian Bangel in der "Zeit", den ich als außerordentlich gelungen empfinde.
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