In eigener Sache:
Am 9. April habe ich die Mitglieder von PolizeiGrün informiert, dass ich zur am 10. April terminierten Vorstandsneuwahl nicht wieder antreten werde. Vielmehr ziehe ich mich von der Berufsvereinigung PolizeiGrün zurück.
Von mehreren Gründen, die hierfür den Ausschlag gaben, möchte ich nur einige nennen:
PolizeiGrün gibt es seit 2013. Seit 2014 hatte ich aktiv im Vorstand und in der Öffentlichkeitsarbeit mitgewirkt, seit 2018 als 1. Vorsitzender. Ich will daher einerseits gern den Platz frei machen für frische, ebenso motivierte Kolleg:innen. Persönlich fällt es mir sehr schwer, allerdings fürchte ich nichts mehr wie nordkoreanische Verhältnisse à la DPolG/Wendt.
Dieser Gedanke fiel zusammen mit der Einsicht, dass mein Ziel und die dafür gebrauchten Mittel vielleicht nicht so optimal zusammenpassen, wie ich mal dachte. Mein Ziel, das ist eine verbesserte, reformierte Polizei. PolizeiGrün war und ist in seinem kompletten Wirken etwas Gutes. Daher gehe ich auch ohne tiefen Groll und wünsche der Vereinigung, wie man so schön sagt, für die Zukunft alles Gute. Ich werde die Geschicke nun wohlwollend aus der Ferne verfolgen.
Was meine ich mit den nicht optimal passenden Mitteln? Nun, eines der größten Vereinsziele von PolizeiGrün war das Überwinden alter Vorurteile zwischen der grünen Partei und der Polizei. Und wenn man Gräben nicht zugeschüttet bekommt, dann baut man eben eine schicke Brücke drüber. Ich denke, das hat auch vielfach gut geklappt und gerade in der öffentlichen Wahrnehmung waren viele Menschen angenehm überrascht, dass es neben manch holzkopfigen, kritikabweisenden Law-And-Order-Sprech der großen Polizeigewerkschaften plötzlich auch eine kleine, alternative Gruppe von Polizeibeschäftigten gab, die vieles anders sehen. Und die mit dieser Sichtweise - so die Rückmeldungen - erreicht haben, dass manch eine:r wieder neues Vertrauen in die Polizei hierzulande gefasst hat.
Ich habe in Interviews oft gesagt, dass genau das uns von den großen Polizeigewerkschaften unterscheidet: sie machen (und das ist ja auch folgerichtig) knallharte Lobbypolitik für ihre zahlenden Mitglieder. Und da sich in der Polizei und somit unter diesen Mitgliedern auch eine Gruppe von Menschen befindet, die weniger rechtsstaatsliebend sind, Pluralismus und Vielfalt eher ablehnen und teils sogar menschenfeindlich agieren (über die Größe dieses Anteils lässt sich mangels Forschung - danke, Herr Seehofer! - spekulieren, nicht aber darüber, dass jede:r aus dieser Gruppe eine:r zuviel ist!), fungieren die Gewerkschaften zwingend auch als Resonanzkörper, als Verstärker dieser Gruppen. Das ließe sich zwar kompensieren, aber dafür bräuchte es lupenreine Bekenntnisse und glasklare Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Und dass dies bei der DPolG nicht läuft und sogar bei der GdP zu internen Widerständen führt, haben wir alle gelernt. Allzu groß ist die Furcht, durch eine Distanzierung zum rechten Rand zu viele Beitragszahler:innen zu verlieren. So tragisch, so einleuchtend.
So gesehen war es stets ein immenses Pfund für PolizeiGrün, nicht dieser Möhre hinterherrennen zu müssen. Im Gegenteil, wir haben nicht stets reflexhaft ausschließlich die Perspektive von Polizeimitarbeitenden betrachtet - wir haben versucht, Augen und Ohren für die Menschen offen zu halten, die die Polizei kritisieren. Die Verbesserungsvorschläge haben. Die vielleicht selbst schon Geschädigte von polizeilichem Fehlverhalten wurden. Damit haben wir etwas getan, was eigentlich auch zu guter Polizeiarbeit gehört: Sinne und Geist offen halten, keinen festgefahrenen Standardsichtweisen hinterher hecheln und durch einen Perspektivwechsel Verständnis und ehrliche Opferschutzarbeit zulassen.
Tja, und trotzdem funktioniert eine Veränderung nie ohne diejenigen, um die es geht. Die Polizist:innen, die wir mit unseren Forderungen auch immer adressiert hatten. Denn auch uns war wichtig, trotz aller Kritik bei den teils ungeheuerlichen Enthüllungen der letzten Jahre nie zum Pauschalvotum ACAB zu gelangen. Denn dann hätte alle Mühe, jeder Reformgedanke keinen Sinn mehr gehabt.
Leider ist der Ballast, den eine grün-alternative Partei gut vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch immer mit sich herumschleppt, größer als von mir einst befürchtet. In vielen Gesprächen mit Kolleg:innen stellte ich sehr zu meiner Freude eine große Übereinstimmung in den Werten und sogar bei der Anerkennung von strukturellen Problemen der Polizei fest. Ein Mitwirken beim Versuch, diese Missstände abzustellen, entwickelte sich jedoch nur in seltenen Fällen daraus. Einer herausragenden Akzeptanz der Bemühungen von PolizeiGrün in pluralistischen Teilen der Gesellschaft stand leider meist eine Ablehnung innerhalb der Kolleg:innenschaft gegenüber. Mit den Grünen möchte man nichts zu tun haben! X-fach wurden mir in Gesprächen olle Kamellen wie der Steine werfende Joschka Fischer oder der Terroristenanwalt Hans-Christian Ströbele vorgehalten. Für mich im Wortsinn der Beweis, dass die Polizei tatsächlich konservativ tickt. Davon, dass ein Robert Habeck tagelang Polizist:innen im Dienst begleitet hat, um ihre Sorgen und Nöte zu verstehen, dass die grüne Bundestagsfraktion gegen den unfassbaren Widerstand von CDU/CSU seit Jahren versucht, eine Besserstellung bei der Polizeibesoldung (Ruhegehalt) durchzubekommen oder dass sie als einzige Fraktion im deutschen Parlament einen eigenen, großen Polizeikongress durchgeführt haben, davon wollte nie jemand etwas wissen.
Was ich damit sagen will: ja, der Kampf mit einer als "grün" empfundenen Berufsvereinigung (denn ja, allein der Name weist überdeutlich darauf hin, egal wie sehr wir Parteiunabhängigkeit in der Satzung festgeschrieben haben) kann gelingen. Aber er wird härter und länger, denn er wird immer als ein Gesinnungskampf empfunden werden.
Auch deshalb habe ich mich entschlossen, der Berufsvereinigung PolizeiGrün nicht weiter vorzustehen.
Was wird nun aus mir? In den vergangenen zwei Tagen hat mich wegen meiner Entscheidung eine unglaubliche Menge an Nachrichten erreicht. Damit hatte ich nie gerechnet. Auch nicht, dass sie ausnahmslos positiv und bestärkend waren und viele ihre Dankbarkeit zum Ausdruck brachten.
In der internen Erklärung an die Mitglieder hatte ich auch dargelegt, welchen Preis ich für das Engagement der letzten Jahre bezahlt habe. Es gab und gibt Schmähungen, Beleidigungen, Verleumdungen, Anschwärzungen bei meinem Dienstherrn, Bedrohungen, Gewaltankündigungen und ja, auch richteten sich viele Hasskommentare gegen mein Leben. Als wäre dies alles nicht schlimm genug, musste ich leider auch feststellen, dass die Urheber dieser "Fanpost" nicht nur die üblichen Menschenverachter:innen aus der rechten Bubble sind, sondern häufig auch Polizeikolleg:innen. Und ja, es gab auch persönliche Anfeindungen und Bedrohungen im Dienst, wenn auch deutlich seltener. Denn meist mutiert der großmäulige Social Media-Löwe im realen Leben zum feigen Fluchttier.
Dass ich mit meinen Positionierungen auch Gegenrede und emotionalen Widerstand auslöse, war mir von Beginn an klar. Daher kann ich hier auch nicht die Rolle des schwer traumatisierten Träumers geben, dem alle Illusionen geraubt wurden. Nichtsdestotrotz hat mich die Vehemenz, die Heftigkeit und die ungehemmte, beinahe brutale Verachtung, die mir oft entgegenschlug, sehr verstört und irritiert.
Da ich mich ausschließlich für Themen und Belange eingesetzt hatte, die auch meinen Beruf und somit meinen Arbeitgeber tangieren, sollte man eigentlich denken, dass dort ein Interesse darin bestand, die Abläufe nachvollziehen zu können oder den Mitarbeiter sogar zu schützen. Das dachte ich selbst ebenso. Immerhin war ich mehrere Jahre auch eins der öffentlicheren Gesichter der Polizei in meinem Bundesland. Habe u.a. viele Fernseh- und Radiointerviews gegeben zu polizeilichen Themen und zur Kriminalitätsentwicklung. War mehrere Jahre Teil des Twitter-Teams der Polizei Berlin.
Und in der Tat wurde ich vor einigen Jahren zum Gespräch gebeten, kurz nachdem ich die ersten Todeswünsche im Internet erhalten hatte. Ich hatte Beistand erwartet. Was ich mir anhören durfte, klang jedoch ganz anders. Ich sei ein Meinungsmacher und Unruhestifter, den man im Auge behalten wird. Dem man beim allerersten Fehlverhalten die Beine wegschlagen wird. Alles Zitate übrigens. Nett. Spätestens seit diesem Tag war mir klar, was ich von meinem Arbeitgeber noch zu erwarten hatte: nichts. Die Details zu diesem Gespräch werde ich an dieser Stelle nicht veröffentlichen, denn mehr als noch mehr Ärger und Ausgrenzung würde es mir nicht einbringen. Ich bringe diese Anekdote nur deshalb hier vor, da sie mein Dilemma, meine größte Seelennot verständlich macht: man hilft mir nicht. Nicht einmal die Institution, für die ich seit 23 Jahren tätig bin, ohne Disziplinarverstöße, ohne zu meinem Nachteil abgeschlossene Beschwerdevorgänge, dafür mit vielen Belobigungen und Auszeichnungen in der Personalakte. Nicht einmal dort erfahre ich zumindest Toleranz, wenn schon keine Akzeptanz.
Auch bei den skurilsten Anfeindungen bleibt es still, z.B. als zum Jahreswechsel die NPD ihren paar Tausend Mit-Nazis im monatlichen Parteimagazin auf einem ganzseitigen, mit meinem Bild geschmückten Artikel (Rubrik: "Am Pranger") die üblichen Klischees bediente, ich wäre ein Nestbeschmutzer und Verräter, dazu ein "waschechter Linksaußen-Agitator". Wäre doch schön gewesen, man fragt mich daraufhin Dinge wie "Wie geht es dir damit?" oder "Fühlst du dich sicher?". Aber nada. Manchmal befürchte ich, man muss einfach erst im mutmaßlich besoffenen Zustand mit dem Einsatzwagen eine junge Frau totfahren, um von der "Polizeifamilie" in schweren Zeiten Unterstützung zu erfahren...
Es sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass ich die gravierendsten Hassvorfälle der letzten Jahre stets zur Anzeige brachte. Die ermittelnden Staatsanwaltschaften hatten auch jeweils strafbares Verhalten erkannt, die Akten trotzdem jedes Mal geschlossen. Immer mit der Begründung, dass die oder der Täter:in nicht ermittelbar waren. Das übrigens auch in Fällen, in denen es im Internet zu Übergriffen auf mich durch offizielle Accounts einer politischen Partei (ja, die angebliche Alternative) oder eines polizeilichen Interessenverbandes kam.
Dieser Bericht aus meinem Alltag eines Polizisten, der sich außerdienstlich und ehrenamtlich der Verbesserung der Institution Polizei und der Vertrauensrückgewinnung vieler desillusionierter Menschen verschrieben hat, soll nur klar machen, was sich innerlich über die Jahre in mir aufgebaut hat. Und auch mein Privatleben schwer beschädigt hat.
Ja, es ist Frust. Auch Kränkung. Aber es ist auch viel Kraft und Energie, die ich aus den negativen Emotionen gewinne und versuche, in etwas Positives zu verwandeln.
Ich werde auch weiterhin kämpfen. Für eine bessere Polizei. Für Toleranz, für Vielfalt, für Liebe. Gegen Nazis und Faschisten, gegen Menschenfeinde aller Art.
Um die Bemühungen für eine reformierte Polizei noch effizienter zu machen, habe ich mich zur Gründung einer Initiative entschlossen, die nun nicht mehr nur Polizeimenschen zusammenfasst, sondern allen Individuen mit dem Wunsch nach besserer Polizeiarbeit und einer menschlichen Exekutive ein Mitwirken ermöglicht. Ich habe BetterPolice gegründet.
So können die dargestellten Ziele parteiunabhängig und im Rahmen einer größeren Strömung angegangen werden.
Ich freue mich über eure Mitwirkung. Meldet euch bei mir, wenn ihr eigene Ideen zu einer besseren Polizei einbringen möchtet.
Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit!