Montag, 29. September 2025

Eine Debatte über die Ausrichtung der Polizei (und warum Progressive dort kein Gehör finden)

Hinweis: Den folgenden Text veröffentlichte ich am 27. September 2025 in 24 Teilen auf Bluesky als Erwiderung auf einen Debattenvorschlag von Christian Bangel.

Ich möchte eine Debatte darüber, dass die auch von mir meinen Steuern bezahlte Polizei offenbar mehrheitlich konservativ denkt. Diese Unausgewogenheit schadet der Demokratie. Was unternehmen die Innenminister dafür, auch grüne und linke Stimmen in der Polizei zu stärken?


⚠️ Ein Thread 🧵

Ich möchte noch einmal den Gedanken des sehr geschätzten Christian Bangel aufgreifen. Denn in mir gärt es. Ich leide sehr darunter, dass seit vielen Jahren in Deutschland eine völlige Umkehr in der Wahrnehmung als auch in der Bewertung stattfindet. Insbesondere bei Themen, die unsere gefühlte Sicherheit und unser Staatsvertrauen tangieren.

Die Polizei macht ihren Job. Dank unerklärlicher und im internationalen Vergleich defizitärer Weigerung, rechtsstaatliche Kontrolle vollumfänglich zu akzeptieren, häufig ohne Rechtfertigungspflicht.

Wir sind (noch) eine der stärksten Demokratien der Welt. Warum gibt es gerade bei ihrer wichtigsten Säule, der staatlichen Exekutive, so viele blinde Flecken? Und warum ist da die ständige Gefahr, bei Kritik an der polizeilichen Allmacht als Radikaler oder Querulant (extern) bzw. als Nestbeschmutzer (intern) diffamiert zu werden?

Wie kann es sein, dass seit Jahren Schlagzeilen von rechtsextremer Gewaltverherrlichung, von Frauenverachtung, Relativierung von NS-Verbrechen zur Tagesnorm gehören? Freilich nicht einfach so, sondern begangen von Polizeimitarbeitenden! Wieso tolerieren wir als Gesellschaft, dass es regelmäßig Vorfälle gibt, bei denen Polizeikräfte pöbeln, schlagen und alkoholisiert migrantisierte Menschen angreifen und beleidigen? Und wie neulich wieder berichtet sowie mit meiner eigenen Erfahrung übereinstimmend, sind dies nicht Probleme, die vom „Bodensatz“ ausgelöst werden oder unverschämterweise als „Einzelfälle“ deklariert werden können. Nein, häufig sind Vorgesetzte nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, indem sie bagatellisieren, deckeln, schützen und oft sogar aktiv mitmischen. Und die Spitze des Problems endet nicht irgendwo im mittleren Management. Wie kann ein Bundesinnenminister nationales und internationales Recht brechen, Gerichtsentscheide ignorieren und sich dann öffentlich noch stolz auf die Brust trommeln, dass er nichts falsch, aber alles richtig machen würde? Wie kann sich also so jemand über Entscheidungen der Justiz stellen und damit auch noch völlig unbeschadet durchkommen?

Wie viele wissen, erhebe ich meine bescheidene Stimme seit Jahren gegen Missstände. Auch mache ich keinen Hehl daraus, was es mir eingebracht hat: Eine zerstörte Karriere, Mobbing/Bossing, Krankheit und somit auch die Beschädigung meines Privatlebens. Vor knapp einem halben Jahr erhielt ich eine anonyme Morddrohung an meiner Privatanschrift, beigelegt war eine scharfe 9mm-Patrone. Ich wurde als Kollegenschwein beschimpft und aufgefordert, Ruhe zu geben.


Warum erwähne ich das jetzt wieder? Weil es neben einiger Solidarität aufrechter und anständiger Menschen vor allem eines gab: dröhnendes Schweigen aus der Polizeibubble. Obwohl: stimmt nicht - einige rechtslastige Kolleg:innen haben sich lustig gemacht und offen gefreut. Aber was die Reaktionen meiner eigenen Behörde, der Innenverwaltung und vor allem der Lobby, den Polizei„gewerkschaften“, anbetrifft, ist auf jedem Friedhof in einer regnerischen Nacht mehr zu hören.

Wollen wir uns (nur aus Neugier) mal kurz vorstellen, was ein ähnlicher Drohbrief von mutmaßlichen Linken an einen Polizisten ausgelöst hätte? Wahrscheinlich wäre der Bundeskanzler zum Kaffee gekommen und hätte dem Beamten über den Kopf gestreichelt und Elon Musk hätte weltweit gegen polizeihassende Linksterroristen mobilisiert.

Ich kann nicht in Worte fassen, wie maßlos enttäuscht ich von meiner Arbeitgeberin, der Polizei Berlin, bin. Und nicht nur als Institution, sondern auch in Hinblick auf die vielen Kolleg:innen, denen ich eigentlich nahe stand und von denen der Vorfall totgeschwiegen wurde und wird. Wie sehr muss man einen Menschen verachten, um ihn mit so einem Vorfall alleine stehen zu lassen? Bei aller Reflexion und dem Abstand von fünfeinhalb Monaten: Sorry, für mich fühlt sich das Schweigen immer noch an wie hämische Zustimmung.

Jetzt mögen manche vielleicht denken: Man liest hier immer nur „ich, ich, ich“ und ob ich mich nicht einfach nur ein wenig zu wichtig nehme. Mag sein, das müssen andere beurteilen. Aber komischerweise bin ich ja stets wichtig genug für die Öffentlichkeit, wenn man mir vermeintliche Verstöße gegen Beamtenpflichten vorwirft, Polemik oder Nähe zu Linksextremisten, nur weil ich mich klar gegen Nazis ausspreche und den Finger in die faulige Wunde polizeilicher Missstände lege.

Ich selbst finde mich eigentlich gar nicht wichtig. Aber sehr wichtig finde ich, dass wir in diesem Land eine Polizei haben, die Menschenrechte wahrt, alle Mitglieder unserer Gesellschaft fair und tolerant behandelt und vor allem auch kritikfähig ist.

Und ehrlich: mir geht es mies. Feuer von allen Seiten, so fühlt es sich meist an. Und trotzdem bin ich privilegiert: Beruflich abgesichert, mit Werkzeugen wie der Beratungsstelle für Konfliktmanagement, dem Polizeibeauftragten oder NGOs, die sich um Aufklärung und Ausgleich bemühen. Wie aber müssen sich Menschen fühlen, die zu Unrecht oder im Übermaß ins Visier der Polizei geraten sind und außerhalb jeder helfenden Blase stehen?

Ja, wir sollten als Gesellschaft unserer Polizei vertrauen können. Aber das nur im Tausch gegen ein Auftreten, das Vertrauen auch rechtfertigt. Wir als Gesellschaft sollten und MÜSSEN Polizei im Auge behalten und haftbar für Verstöße machen. Nicht, um sie zu schwächen, sondern vielmehr um sie zu stärken und resilienter zu machen für die Verteidigung unserer Demokratie.

Ich bin es leid. Leid, dass Menschen, die sich intern gg. all die Fehlentwicklungen wehren wollen, behindert und angeprangert werden. Ich kenne deutschlandweit Dutzende Kolleg:innen persönlich, denen es ähnlich wie mir ergangen ist. Gegen die bis zur Zerstörung ihres Mutes und ihrer Arbeitsfähigkeit vorgegangen wird. Und nur, weil man „das nicht macht“. Weil man nicht ins eigene Nest kackt.

Mir wurde im letzten Jahr in einem Gespräch von einer Vertreterin des höheren Dienstes, in dem es um Anfeindungen gegen mich ging, tatsächlich vorgehalten, ich wäre ja eigentlich selbst schuld an meinen Problemen. Wie kann man da anders als mit Frustration und Sprachlosigkeit reagieren? Warum bin ich der Störer, wenn ich auf unhaltbare Zustände hinweise?

Ich bin Antifaschist. Jede Sekunde meines Lebens, im und außerhalb des Dienstes, bis zu meinem letzten Atemzug. Vielleicht gelte ich in nicht allzu ferner Zukunft deshalb als Extremist oder Terrorist. Reisen in die USA sind somit eh passé. Aber ich stehe unverrückbar zu dieser Haltung. Ich werde weiterhin die Stimme erheben, wenn ich Menschenfeindlichkeit beobachte, auch und vor allem in der Polizei. Und ich werde das, wenn ein klärendes Gespräch nicht fruchtbar ist, auch weiterhin anzeigen und Täter:innen benennen.

Bin ich deshalb ein Kollegenschwein? Gehöre ich aussortiert? Entscheidet selbst.

🧵 Ende



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