Sonntag, 17. Juli 2022

Ein paar aktuelle Gedanken

An dieser Stelle, meinem Blog, melde ich mich die letzten Jahre eigentlich nur, wenn es etwas Besonderes zu berichten gibt.
Dieses Mal ist es nichts konkret "Besonderes". Es sollen nur ein paar Einblicke sein in meinen Alltag, der in den letzten Monaten stark von meinem Beruf und meinem aktivistischen, außerdienstlichen Engagement geprägt wurde.
Dass ich mich in einer Zeit melde, in der gerade wieder über neu enttarnte Chatgruppen innerhalb der Polizei berichtet wird, in denen rechtsextreme und menschenfeindliche Inhalte ausgetauscht wurden, eine Zeit, in der ein Bundeswehroffizier mit rechtsextremen, perfiden Tötungsplänen politischer Gegner seine Verurteilung entgegennahm - all das ist tatsächlich nur ein Zufall, der aber einiges darüber aussagt, wie es um die Sache steht, für die ich öffentlich kämpfe...

Und: viele Menschen fragen nach, wie es mir geht. Regelmäßig. Aufrichtig interessiert, manchmal besorgt.
Dafür bin ich sehr dankbar; diese Art der Wertschätzung bedeutet mir viel, denn ich habe mich vor Jahren bereits in einen Bereich begeben, der alles andere als eine Komfortzone darstellt.

Aber das wichtigste gern zu Beginn: die guten Nachrichten!
Seit dem 1. April und somit am Tage meines 24-jährigen Dienstjubiläums bin ich Mitarbeiter meiner Traumdienststelle.
Das habe ich mir quasi erarbeitet, denn dorthin konnte ich im Rahmen einer so genannten "Wunschdienststellen-Option" wechseln, welche ich durch mehrjährige Tätigkeit in einem früheren Dienstbereich erlangt hatte.

Ich arbeite nun im Südwesten Berlins auf einem Polizeiabschnitt, so nennt man in Berlin die Basisdienststellen der Schutzpolizei, die erster Anlaufpunkt der Bürger:innen sind.
Ich habe diese Wahl bewusst und wohl überlegt vorgenommen, denn dort kann ich meinem Wunsch nach Bürger:innennähe und Basisarbeit auf der Straße noch besser nachkommen als zuvor.

Die ersten Monate haben mich nicht enttäuscht. Ich bin hochzufrieden mit dem Arbeitsgebiet, habe tolle, engagierte und motivierte Kollegen und wunderbare, faire Vorgesetzte und die Arbeit macht so viel Spaß, dass ich am Ende so mancher 10- oder 12-Stunden-Schicht irritiert war, dass ich "schon" nach Hause musste.

Dann habe ich Ende Mai auch noch das Ehrenzeichen für besondere Leistungen im Dienst erhalten.
Das hat mich sehr gefreut. Aber ich schreibe hier davon aus einem bestimmten Grund - und lenke somit auch schon langsam über zur eher belastenden Thematik:
Nachdem es öffentlich wurde, erhielt ich vielfache Glückwünsche. Dafür meinen Dank. Allerdings haben viele der Gratulanten irrig angenommen, ich hätte diese Auszeichnung für mein Engagement für eine bessere Polizei erhalten.
Dies musste ich dann leider gerade rücken, denn dieses Ehrenzeichen erhielt ich gemeinsam mit Dutzenden anderer Kolleg:innen, weil wir zwischen 2002 und 2021 in Afghanistan Dienst taten. Ich will das auch nicht kleinreden und es ist eine nette Geste.
Aber es ist auch spannend, von der Innenbehörde geehrt zu werden, die noch im März medial kundtat:

Die Aussagen von Herrn von Dobrowolski entsprechen nicht der Realität und werden den vielfältigen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus von Polizei und Innenverwaltung nicht gerecht.

Es ging um ein Interview mit dem RBB anlässlich der Veröffentlichung meines Buches. Ich fand es schon bemerkenswert, dieses Statement zu lesen, da medial gerade wieder viel über rechtsmotiviertes Fehlverhalten von Polizist:innen in Deutschland allgemein und in Berlin im Besonderen zu lesen war.

Nun, und da wir schon bei dem Ehrenzeichen sind und gerade von politischem Engagement reden:
Im vorletzten Jahr wurde auch schon einmal ein Polizist derart ausgezeichnet. Sogar jemand, der in der Polizei-Blase auf Twitter kein Unbekannter ist. Seine Leistung: er ist gewerkschaftlich tätig für die populistische und rechtsoffene DPolG. Und nebenbei hetzt er gegen migrantisierte Menschen und Andersdenkende. Das war damals sogar dem Tagesspiegel eine Meldung wert:


Nun, jetzt seht ihr, warum mir die Erwähnung dieses Ehrenzeichens doch wichtig war. Denn es sagt gewiss einiges darüber aus, welches außerdienstliche Engagement als Polizist:in in Berlin goutiert wird und welches eher nicht.
Prioritäten. So wichtig.

In dem Zusammenhang möchte ich aber doch noch eine (gute!) Sache loswerden: Ende Februar kam es - im Kontext mit der genannten Medienberichterstattung über meine Buchveröffentlichung - zu einer Einladung in das Polizeipräsidium.
Die Frau Polizeipräsidentin und der Herr Polizeivizepräsident luden mich zu sich. Ich hatte ordentlich Puls, denn wie manche Beobachter:innen meiner Bemühungen wissen, verliefen in der Vergangenheit so einige Gespräche auf höherer Ebene nicht eben fair und vertrauensbildend.
Aber nicht so diesmal - zu meiner überaus positiven Überraschung hatten wir ein langes und ausführliches Gespräch zu dritt, in dem es um mein Engagement und meine Lösungsansätze ging, für die man ernsthaftes Interesse zeigte. Ich empfand diesen Termin als sehr wertschätzend und bin dafür dankbar.

Ansonsten verliefen die vergangenen Monate in Bezug auf meine öffentlichen Statements ähnlich wie die Jahre zuvor: ich erhalte viel Unterstützung und Rückmeldung von Menschen, denen meine Worte gerade im Kontext meiner beruflichen Stellung wichtig sind. Und diese Meldungen geben mir viel und schaffen es manchmal, den Akku wieder etwas zu füllen.
Ihnen entgegen stehen aber all die hasserfüllten, hetzenden und beleidigenden Antworten auf meine Tweets, auf Fotos auf Instagram oder auch direkt per Mail.


Einige beschweren sich auch regelmäßig, wie ich in Uniform am 9. November Stolpersteine putzen könne, das wäre ja politisch nicht neutral. Andere haben kein Problem damit, sich über diese Geste noch ganz anders lustig zu machen.



(Hinweis: die übelsten Nachrichten stelle ich hier nicht zur Schau, um sie nicht noch inhaltlich zu reproduzieren.)

Ich habe ehrlich gesagt aufgehört, diese Nachrichten zu zählen oder (wenn sie strafbar waren) zu melden. Die Quantität macht das nicht möglich.

Wenn ich oben schreibe, wie viel Zuspruch und Liebe mir durch die ganzen positiven und bestärkenden Nachrichten zuteil wird, dann ist dies ein wichtiger Anker für mich. Doch muss ich auch feststellen, dass so ein Candystorm es meist nicht vermag, die Shitstorms auszugleichen.
Vielleicht liegt es an mir und ich bin fehlerhaft gestrickt, bekomme keinen richtigen Fokus mehr hin. Der Selbstschutz ist nicht mehr in Ordnung...

Viele Menschen arbeiten sich an mir ab, weil sie einerseits meine Thesen falsch finden. Zunehmend wird mir aber auch Selbstdarstellungsdrang angedichtet, um mich und meine Positionen abzuwerten. Das ist ein bekanntes Muster, aber ich muss auch hier sagen, dass mich das nicht kalt lässt.
Kommen noch die üblichen Beleidigungen und Zuschreibungen hinzu (beispielsweise der Evergreen des "Nestbeschmutzers"), fühle ich mich schlecht. Es kränkt mich.



Dazu muss ich sagen, dass ich durch meine vielen Pressekontakte natürlich ein bestimmtes Bild von Journalist:innen und Medienschaffenden gewonnen habe in den letzten paar Jahren.
Und dieses Bild war gut. Es war sogar herausragend. Umso überraschter und auch schockierender war es für mich, im Frühjahr ein großes Portrait über mich im Stern zu lesen, welcher (ohne Rücksprache mit mir) nicht nur sehr krass getitelt hat...


...sondern auch inhaltlich ein Bild von mir gemalt hat, das mich zutiefst erschrocken und verunsichert hat. Es war die Rede von einem desillusionierten, getriebenen, ja gehetzten Menschen, der sich bei seinem Kampf für eine mutmaßlich bessere Sache aufreibt und kaputt geht.
Ich wusste natürlich von dem Bericht. Da es sich um ein Langzeitportrait von mir handelte, hatte ich mich mit dem Journalisten häufig getroffen und er hat mich mal bei alltäglichen Dingen in meinem Privatleben, mal beim Engagement für BetterPolice, mal im Dienst beobachtet. Wir haben uns prima verstanden und das fertige "Produkt" hat mich daher auch umso mehr getroffen.
Warum war das so, frage ich mich noch heute. Klar, ich hätte mir einen weniger düsteren Text gewünscht, der eher meine Ziele und das unbestrittene Verbesserungspotential der Polizei in den Fokus nimmt. Aber vielleicht hat es mich auch so getroffen, weil Vieles wahr ist? Denn meine Wirkung kann ich selbst nicht zureichend einschätzen, da leisten Außenstehende einen besseren Job...


Eine weitere Sache muss ich noch anbringen, denn sie ist es, die mir in den vergangenen Monaten am meisten zu schaffen machte:
Seit langem berichte ich auch öffentlich über Häme, Hass und Hetze, die mich vor allem im Internet trifft. Die exponierte Besprechung dieser Vorfälle hilft mir, denn so verarbeite ich das besser und die meist bestärkenden Kommentare geben mir Kraft. Doch all dies ist häufig Hatespeech von bösartigen, frustrierten, missgünstigen Menschenfeinden. Es ist quasi ihr Geschäftsmodell, andere anzuvisieren und mit Hass zu beschießen. Diese Umstände zu erkennen, macht das Verarbeiten all der schlechten Dinge einfacher.
Aber nur selten in all den Jahren meines aktivistischen Engagements (seit 2013) kamen die Menschen, die mich für meine Aussagen und Handlungen auf unsachlicher und persönlicher Ebene angefeindet hatten, aus meinem unmittelbaren sozialen Umfeld.
Dies sollte sich nun ändern, als auf einer früheren Dienststelle Missstände auftraten, zu denen einige Kolleg:innen (u.a. als Geschädigte) und auch ich nicht schweigen konnten und wollten.
Ich werde hier keine Details veröffentlichen. Vor allem weil meines Wissens die eingeleiteten Verfahren, zu denen auch ich Zeuge war, noch nicht gänzlich abgeschlossen sind.

Was sich nach Beginn der offiziellen Ermittlungen dann für einige Mitarbeitende und auch für mich zutrug, kann ich auch heute nur schwer begreifen. Eine ungeahnte Dynamik trat ein, befeuert von Gruppenprozessen wie Gerüchtebildung, Anfeindungen und Ausgrenzungen. Meine Person betreffend wurde die Legende erschaffen, ich allein hätte die Vorwürfe dramatisiert, zur Anzeige gebracht und würde diese im Sinne meiner Agenda ausschlachten, um meine Thesen voranzubringen. Mir wurde sogar offiziell vorgehalten, dass ich den Ruf intern und extern beschädigt hätte.
Solche Vorhalte machen mich nicht nur traurig und fassungslos, sie sind auch einfach falsch.
Es zeigt nur wieder, dass "derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher gilt als derjenige, der den Schmutz macht" (Kurt Tucholsky).
Und all das, obwohl ich mich in der Phase, als die Vorwürfe damals öffentlich wurden, nicht offen dazu geäußert hatte:


Aber mir wurde in den Monaten danach immer wieder fälschlich vorgehalten, dass ja ich derjenige wäre, der Interna an die Presse herausgibt. Der bewusst und gewollt das Image der eigenen Dienststelle beschädigt. Das sollte der Plot sein. Es ging den Leuten nicht um die tatsächlichen Probleme und Missstände, um die man sich vielleicht mit einer Portion Eigenkritik und einer Prise Demut kümmern sollte.

Den Vorfällen - zumindest bis zum Stand Sommer 2021 - habe ich auch einigen Platz in meinem Buch eingeräumt. Das war gut zum Verarbeiten. Nur wusste ich damals nicht, dass die richtigen Probleme erst noch beginnen sollten.

Was soll ich sagen... die akute Angelegenheit ist nun nach über acht Monaten immer noch nicht geklärt und wie ich neulich erfahren habe, wird bestimmten Mitarbeitenden dort, die mir noch nahestehen, nach gewissen Äußerungen von mir ohne schlüssigen Beleg eine Art "Mittäterschaft" zugerechnet. Das alles tut mir im Herzen und der Seele weh, dass man nun schon grundlos auf andere losgeht, nur weil sich diese nicht im Sinne eines Korpsgeistes von mir distanzieren. Sippenhaft 2.0.

Besonders unangenehm: Es ist belegbar, dass einige der Menschen, die mir von der früheren Dienststelle persönlich bekannt sind, im Kontakt und Austausch mit Angehörigen der Polizei-Blase stehen, die mich bereits seit Jahren im Netz diffamiert. Die Qualität der Anfeindungen wurde somit noch einmal gesteigert:

Über meine Person wurden in den vergangenen Monaten wahrheitswidrig diverse Gerüchte verbreitet. Die widerwärtigsten davon betreffen mein Familienleben, verleumden mich und greifen unmittelbar meinen privaten Frieden an.

Von Kolleg:innen wurde mir berichtet, dass andere Polizist:innen Fantasien austauschen, mir körperliche Gewalt anzutun.

Mehrere Journalist:innen haben sich an mich gewandt und um ein Statement zu der These gebeten, dass ich mit dem Wechsel auf meine neue Dienststelle "von der Behördenleitung strafversetzt wurde". Auch hier wird bewusst ein Narrativ geschaffen, das mich persönlich, meinen Leumund und meine dienstlichen Umstände angreift. Und die Wahrheit wird auf Links gedreht.

In den vergangenen Wochen kam es zu mehrfachen Versuchen, meine Social Media-Accounts zu hacken. Dies konnte durch technische Vorkehrungen bislang abgewehrt werden.

Man versucht also mit allen Mitteln, eine Stimmung gegen mich aufzubauen und schreckt auch vor abscheulichen Schritten nicht zurück.

Nie habe ich etwas anderes gewollt, als eine wichtige und herausragende gesellschaftliche Institution, die ich durch meine Tätigkeit mitgestalten darf, zu verbessern.
Es ging mir hierbei nie um Likes, Klicks oder Reichweite. Das Anwachsen meiner Followerschaft und somit auch meiner Popularität habe ich nie als Ziel gehabt. Ich habe dies ebenso wenig geplant wie das Schreiben eines Buches. Es waren immer andere Menschen, die mein Tun von der Seitenlinie verfolgt haben und mir - wofür ich dankbar bin - durch Hinweise, Feedbacks und Coaching den Weg gewiesen haben und dafür sorgten, dass all diese wunderbaren Dinge geschehen konnten und ich vielen Menschen etwas von dem verlorenen Vertrauen wiedergeben konnte.

Dass der Einsatz derart hoch ist, habe ich nie geahnt. Und glaubt mir, ich hätte da auch gern drauf verzichten können. Auf jede Aufmerksamkeit. Mein Nervenkostüm, mein Seelenheil und auch meine dienstliche Karriere wären heute sicher weitaus weniger beschädigt, hätte ich nie den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt.

Was ich seit Jahren erfahre, vor allem aber - wie beschrieben - seit den letzten Monaten, ist für mich kaum erträglich. Es tangiert mein Privatleben und nimmt somit auch die Menschen in den Fokus, die ich am meisten liebe.

Die Kraft, die sich aus der Missgunst und dem Hass entwickelt, zerstört Menschenleben. Die Art und Weise, wie mit mir und anderen kritischen Menschen umgegangen wird, ist eliminatorisch.
Reihenweise ziehen sich Aktivist:innen aus bestimmten sozialen Medien und somit aus der Öffentlichkeit zurück und überlassen den Hetzer:innen das Feld.

Unter Hinweis auf meine aktuelle, sehr gute dienstliche Situation denke ich, auch diese Widrigkeiten meistern zu können. Die Wertschätzung und Fürsorge, die ich auf meiner jetzigen Stelle erfahre, ist beispiellos.

Nichtsdestotrotz hat mir die Zeit von letztem Herbst bis Frühjahr gezeigt, wie viel Kraft verbraucht wird durch Hass und Intoleranz.
Ich wünsche mir so sehr, dass wir als Gesellschaft endlich Wege finden, diese Spirale zu durchbrechen. Vielleicht tun sich genügend Menschen zusammen, um noch effizienter gegen Menschenfeindlichkeit vorzugehen.

Danke für eure Aufmerksamkeit.
Und nun habt einen guten Sommer, macht hier nichts kaputt und seid lieb zueinander.
💜✊🏼


Sonntag, 11. April 2021

Mein Rückzug aus der Berufsvereinigung PolizeiGrün

In eigener Sache:

Am 9. April habe ich die Mitglieder von PolizeiGrün informiert, dass ich zur am 10. April terminierten Vorstandsneuwahl nicht wieder antreten werde. Vielmehr ziehe ich mich von der Berufsvereinigung PolizeiGrün zurück.

Von mehreren Gründen, die hierfür den Ausschlag gaben, möchte ich nur einige nennen:
PolizeiGrün gibt es seit 2013. Seit 2014 hatte ich aktiv im Vorstand und in der Öffentlichkeitsarbeit mitgewirkt, seit 2018 als 1. Vorsitzender. Ich will daher einerseits gern den Platz frei machen für frische, ebenso motivierte Kolleg:innen. Persönlich fällt es mir sehr schwer, allerdings fürchte ich nichts mehr wie nordkoreanische Verhältnisse à la DPolG/Wendt.
Dieser Gedanke fiel zusammen mit der Einsicht, dass mein Ziel und die dafür gebrauchten Mittel vielleicht nicht so optimal zusammenpassen, wie ich mal dachte. Mein Ziel, das ist eine verbesserte, reformierte Polizei. PolizeiGrün war und ist in seinem kompletten Wirken etwas Gutes. Daher gehe ich auch ohne tiefen Groll und wünsche der Vereinigung, wie man so schön sagt, für die Zukunft alles Gute. Ich werde die Geschicke nun wohlwollend aus der Ferne verfolgen.

Was meine ich mit den nicht optimal passenden Mitteln? Nun, eines der größten Vereinsziele von PolizeiGrün war das Überwinden alter Vorurteile zwischen der grünen Partei und der Polizei. Und wenn man Gräben nicht zugeschüttet bekommt, dann baut man eben eine schicke Brücke drüber. Ich denke, das hat auch vielfach gut geklappt und gerade in der öffentlichen Wahrnehmung waren viele Menschen angenehm überrascht, dass es neben manch holzkopfigen, kritikabweisenden Law-And-Order-Sprech der großen Polizeigewerkschaften plötzlich auch eine kleine, alternative Gruppe von Polizeibeschäftigten gab, die vieles anders sehen. Und die mit dieser Sichtweise - so die Rückmeldungen - erreicht haben, dass manch eine:r wieder neues Vertrauen in die Polizei hierzulande gefasst hat.
Ich habe in Interviews oft gesagt, dass genau das uns von den großen Polizeigewerkschaften unterscheidet: sie machen (und das ist ja auch folgerichtig) knallharte Lobbypolitik für ihre zahlenden Mitglieder. Und da sich in der Polizei und somit unter diesen Mitgliedern auch eine Gruppe von Menschen befindet, die weniger rechtsstaatsliebend sind, Pluralismus und Vielfalt eher ablehnen und teils sogar menschenfeindlich agieren (über die Größe dieses Anteils lässt sich mangels Forschung - danke, Herr Seehofer! - spekulieren, nicht aber darüber, dass jede:r aus dieser Gruppe eine:r zuviel ist!), fungieren die Gewerkschaften zwingend auch als Resonanzkörper, als Verstärker dieser Gruppen. Das ließe sich zwar kompensieren, aber dafür bräuchte es lupenreine Bekenntnisse und glasklare Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Und dass dies bei der DPolG nicht läuft und sogar bei der GdP zu internen Widerständen führt, haben wir alle gelernt. Allzu groß ist die Furcht, durch eine Distanzierung zum rechten Rand zu viele Beitragszahler:innen zu verlieren. So tragisch, so einleuchtend.
So gesehen war es stets ein immenses Pfund für PolizeiGrün, nicht dieser Möhre hinterherrennen zu müssen. Im Gegenteil, wir haben nicht stets reflexhaft ausschließlich die Perspektive von Polizeimitarbeitenden betrachtet - wir haben versucht, Augen und Ohren für die Menschen offen zu halten, die die Polizei kritisieren. Die Verbesserungsvorschläge haben. Die vielleicht selbst schon Geschädigte von polizeilichem Fehlverhalten wurden. Damit haben wir etwas getan, was eigentlich auch zu guter Polizeiarbeit gehört: Sinne und Geist offen halten, keinen festgefahrenen Standardsichtweisen hinterher hecheln und durch einen Perspektivwechsel Verständnis und ehrliche Opferschutzarbeit zulassen.
Tja, und trotzdem funktioniert eine Veränderung nie ohne diejenigen, um die es geht. Die Polizist:innen, die wir mit unseren Forderungen auch immer adressiert hatten. Denn auch uns war wichtig, trotz aller Kritik bei den teils ungeheuerlichen Enthüllungen der letzten Jahre nie zum Pauschalvotum ACAB zu gelangen. Denn dann hätte alle Mühe, jeder Reformgedanke keinen Sinn mehr gehabt.
Leider ist der Ballast, den eine grün-alternative Partei gut vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch immer mit sich herumschleppt, größer als von mir einst befürchtet. In vielen Gesprächen mit Kolleg:innen stellte ich sehr zu meiner Freude eine große Übereinstimmung in den Werten und sogar bei der Anerkennung von strukturellen Problemen der Polizei fest. Ein Mitwirken beim Versuch, diese Missstände abzustellen, entwickelte sich jedoch nur in seltenen Fällen daraus. Einer herausragenden Akzeptanz der Bemühungen von PolizeiGrün in pluralistischen Teilen der Gesellschaft stand leider meist eine Ablehnung innerhalb der Kolleg:innenschaft gegenüber. Mit den Grünen möchte man nichts zu tun haben! X-fach wurden mir in Gesprächen olle Kamellen wie der Steine werfende Joschka Fischer oder der Terroristenanwalt Hans-Christian Ströbele vorgehalten. Für mich im Wortsinn der Beweis, dass die Polizei tatsächlich konservativ tickt. Davon, dass ein Robert Habeck tagelang Polizist:innen im Dienst begleitet hat, um ihre Sorgen und Nöte zu verstehen, dass die grüne Bundestagsfraktion gegen den unfassbaren Widerstand von CDU/CSU seit Jahren versucht, eine Besserstellung bei der Polizeibesoldung (Ruhegehalt) durchzubekommen oder dass sie als einzige Fraktion im deutschen Parlament einen eigenen, großen Polizeikongress durchgeführt haben, davon wollte nie jemand etwas wissen.
Was ich damit sagen will: ja, der Kampf mit einer als "grün" empfundenen Berufsvereinigung (denn ja, allein der Name weist überdeutlich darauf hin, egal wie sehr wir Parteiunabhängigkeit in der Satzung festgeschrieben haben) kann gelingen. Aber er wird härter und länger, denn er wird immer als ein Gesinnungskampf empfunden werden.
Auch deshalb habe ich mich entschlossen, der Berufsvereinigung PolizeiGrün nicht weiter vorzustehen.

Was wird nun aus mir? In den vergangenen zwei Tagen hat mich wegen meiner Entscheidung eine unglaubliche Menge an Nachrichten erreicht. Damit hatte ich nie gerechnet. Auch nicht, dass sie ausnahmslos positiv und bestärkend waren und viele ihre Dankbarkeit zum Ausdruck brachten.
In der internen Erklärung an die Mitglieder hatte ich auch dargelegt, welchen Preis ich für das Engagement der letzten Jahre bezahlt habe. Es gab und gibt Schmähungen, Beleidigungen, Verleumdungen, Anschwärzungen bei meinem Dienstherrn, Bedrohungen, Gewaltankündigungen und ja, auch richteten sich viele Hasskommentare gegen mein Leben. Als wäre dies alles nicht schlimm genug, musste ich leider auch feststellen, dass die Urheber dieser "Fanpost" nicht nur die üblichen Menschenverachter:innen aus der rechten Bubble sind, sondern häufig auch Polizeikolleg:innen. Und ja, es gab auch persönliche Anfeindungen und Bedrohungen im Dienst, wenn auch deutlich seltener. Denn meist mutiert der großmäulige Social Media-Löwe im realen Leben zum feigen Fluchttier.
Dass ich mit meinen Positionierungen auch Gegenrede und emotionalen Widerstand auslöse, war mir von Beginn an klar. Daher kann ich hier auch nicht die Rolle des schwer traumatisierten Träumers geben, dem alle Illusionen geraubt wurden.  Nichtsdestotrotz hat mich die Vehemenz, die Heftigkeit und die ungehemmte, beinahe brutale Verachtung, die mir oft entgegenschlug, sehr verstört und irritiert.
Da ich mich ausschließlich für Themen und Belange eingesetzt hatte, die auch meinen Beruf und somit meinen Arbeitgeber tangieren, sollte man eigentlich denken, dass dort ein Interesse darin bestand, die Abläufe nachvollziehen zu können oder den Mitarbeiter sogar zu schützen. Das dachte ich selbst ebenso. Immerhin war ich mehrere Jahre auch eins der öffentlicheren Gesichter der Polizei in meinem Bundesland. Habe u.a. viele Fernseh- und Radiointerviews gegeben zu polizeilichen Themen und zur Kriminalitätsentwicklung. War mehrere Jahre Teil des Twitter-Teams der Polizei Berlin.
Und in der Tat wurde ich vor einigen Jahren zum Gespräch gebeten, kurz nachdem ich die ersten Todeswünsche im Internet erhalten hatte. Ich hatte Beistand erwartet. Was ich mir anhören durfte, klang jedoch ganz anders. Ich sei ein Meinungsmacher und Unruhestifter, den man im Auge behalten wird. Dem man beim allerersten Fehlverhalten die Beine wegschlagen wird. Alles Zitate übrigens. Nett. Spätestens seit diesem Tag war mir klar, was ich von meinem Arbeitgeber noch zu erwarten hatte: nichts. Die Details zu diesem Gespräch werde ich an dieser Stelle nicht veröffentlichen, denn mehr als noch mehr Ärger und Ausgrenzung würde es mir nicht einbringen. Ich bringe diese Anekdote nur deshalb hier vor, da sie mein Dilemma, meine größte Seelennot verständlich macht: man hilft mir nicht. Nicht einmal die Institution, für die ich seit 23 Jahren tätig bin, ohne Disziplinarverstöße, ohne zu meinem Nachteil abgeschlossene Beschwerdevorgänge, dafür mit vielen Belobigungen und Auszeichnungen in der Personalakte. Nicht einmal dort erfahre ich zumindest Toleranz, wenn schon keine Akzeptanz.
Auch bei den skurilsten Anfeindungen bleibt es still, z.B. als zum Jahreswechsel die NPD ihren paar Tausend Mit-Nazis im monatlichen Parteimagazin auf einem ganzseitigen, mit meinem Bild geschmückten Artikel (Rubrik: "Am Pranger") die üblichen Klischees bediente, ich wäre ein Nestbeschmutzer und Verräter, dazu ein "waschechter Linksaußen-Agitator". Wäre doch schön gewesen, man fragt mich daraufhin Dinge wie "Wie geht es dir damit?" oder "Fühlst du dich sicher?". Aber nada. Manchmal befürchte ich, man muss einfach erst im mutmaßlich besoffenen Zustand mit dem Einsatzwagen eine junge Frau totfahren, um von der "Polizeifamilie" in schweren Zeiten Unterstützung zu erfahren...

Es sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass ich die gravierendsten Hassvorfälle der letzten Jahre stets zur Anzeige brachte. Die ermittelnden Staatsanwaltschaften hatten auch jeweils strafbares Verhalten erkannt, die Akten trotzdem jedes Mal geschlossen. Immer mit der Begründung, dass die oder der Täter:in nicht ermittelbar waren. Das übrigens auch in Fällen, in denen es im Internet zu Übergriffen auf mich durch offizielle Accounts einer politischen Partei (ja, die angebliche Alternative) oder eines polizeilichen Interessenverbandes kam.

Dieser Bericht aus meinem Alltag eines Polizisten, der sich außerdienstlich und ehrenamtlich der Verbesserung der Institution Polizei und der Vertrauensrückgewinnung vieler desillusionierter Menschen verschrieben hat, soll nur klar machen, was sich innerlich über die Jahre in mir aufgebaut hat. Und auch mein Privatleben schwer beschädigt hat.
Ja, es ist Frust. Auch Kränkung. Aber es ist auch viel Kraft und Energie, die ich aus den negativen Emotionen gewinne und versuche, in etwas Positives zu verwandeln.

Ich werde auch weiterhin kämpfen. Für eine bessere Polizei. Für Toleranz, für Vielfalt, für Liebe. Gegen Nazis und Faschisten, gegen Menschenfeinde aller Art.

Um die Bemühungen für eine reformierte Polizei noch effizienter zu machen, habe ich mich zur Gründung einer Initiative entschlossen, die nun nicht mehr nur Polizeimenschen zusammenfasst, sondern allen Individuen mit dem Wunsch nach besserer Polizeiarbeit und einer menschlichen Exekutive ein Mitwirken ermöglicht. Ich habe BetterPolice gegründet.

So können die dargestellten Ziele parteiunabhängig und im Rahmen einer größeren Strömung angegangen werden.
Ich freue mich über eure Mitwirkung. Meldet euch bei mir, wenn ihr eigene Ideen zu einer besseren Polizei einbringen möchtet.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit!





Dienstag, 20. August 2019

"Hamburger Gitter" nun kostenfrei verfügbar

Der Kinofilm "Hamburger Gitter" hat viele Monate alle Erwartungen übertroffen und war deutschlandweit in vielen Kinos und auf Fachveranstaltungen zu sehen.
In den letzten Monaten war es möglich, den Film rund um die Ereignisse des G20-Gipfels in Hamburg 2017 gegen Leihgebühr bei Vimeo zu schauen.
Seit heute steht das Werk kostenfrei und in HD für alle Menschen auf YouTube zur Verfügung:


Teilt eure Einschätzung des Films gerne, z.B. auf IMDb.

Samstag, 3. August 2019

Plädoyer für mehr Sachlichkeit und Liebe

Moderne Technik, hoher Bildungsstand und omnipräsente Medien hätten eigentlich das Potential, Dinge zu versachlichen.
Trotzdem beobachten wir ein Erstarken irrationaler, weil unbegründeter #Kriminalitätsfurcht.
Trotzdem waren vor dem Erstarken der Medien auch schwerste Gewaltstraftaten kein Anlass, sich im Alltagsleben einzuigeln und komplett sein Leben einzuschränken.
Der Segen der heutigen Allverfügbarkeit von Information ist zugleich der Fluch einer Renaissance einer uralten Waffe: der Angst.
Und diese erlaubnisfreie Waffe wird in perfider Weise heute allzu gern und allzu oft von reißerischen Medien und brandstiftenden, menschen- und anstandsverachtenden Politikern des extremen Lagers gebraucht.
Viel von dem momentanen Niedergang der politischen Kultur, von Revanchegewalt und Ausgrenzungen jeder Art wäre wohl vermeidbar, wenn mehr Sachlichkeit, Objektivität, Menschenverstand, aber auch Liebe und Empathie betont würden.

In diesem Sinne:
#LoveWins
#HerzStattHetze
#FairerUmgangMiteinander

❤️



Samstag, 15. Juli 2017

Nachtrag zu meinem Blogpost zum G20-Einsatz in Hamburg

Gestern habe ich ein Blogpost zu meiner Sicht auf den G20-Gipfel in Hamburg und den polizeilichen Einsatz hierzu veröffentlicht.
Die vielen Feedbacks hierzu haben mich sehr positiv überrascht! Allen Rückmeldenden danke ich herzlich.

Aus konkretem Anlass (da eine Tageszeitung ohne Rücksprache mit mir aus meinem Beitrag zitiert und einiges eher aus dem Kontext entfernt hat) muss ich noch einmal darauf hinweisen, dass die von mir veröffentlichte Meinung meine persönliche Auffassung darstellt bzw. ich mich im Rahmen meiner Vorstandstätigkeit beim Verein PolizeiGrün geäußert habe.
Ich habe nicht für die Polizei Berlin, die Polizei Hamburg oder eine andere staatliche Stelle gesprochen.



Freitag, 14. Juli 2017

Der G20 in Hamburg aus Sicht eines Polizisten

Wer mich kennt, weiß um meinen Beruf und meine Ansichten.
Insofern war auch klar, dass der Anfang Juli stattfindende G20-Gipfel in Hamburg eine gewisse Herausforderung für mich bedeuten würde. Zumal jeder, der sich vorab mit der Thematik befasst hatte, Konflikte bei diesem Ereignis nicht nur für möglich hielt, sondern einfach davon ausging.

Der G20-Gipfel und der Einsatz der Polizei, soweit ich ihn bewerte

Neben meiner hauptamtlichen Beschäftigung arbeite ich nun bereits im zwölften Jahr auch als Konfliktmanager der Polizei Berlin. Im Frühjahr 2006 angefangen im Anti-Konflikt-Team (AKT), mittlerweile umbenannt in Kommunikationsteam (KMT).

Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel - wie übrigens auch bereits zur "Generalprobe", dem OSZE-Gipfel im Dezember letzten Jahres - hat die Polizei Hamburg neben einer großen Zahl an Bereitschaftspolizei, Spezialeinheiten, Wasserschutz und Verkehrskräften auch Kriminalbeamte sowie Mitarbeiter von Kommunikationseinheiten zur Unterstützung angefordert.

Kommunikationsteams der Polizei beim G20; Quelle: Twitter @polizeihamburg

So kam es, dass ich als einer von 30 Berliner KMT-Beamten am Dienstag, 4. Juli, morgens in die Hansestadt aufbrach.

Was sich in den kommenden Tagen in dieser schönen Stadt abspielte, war Gegenstand der weltweiten Medienberichterstattung. Insbesondere die bereits im Vorfeld kontrovers und mit mehrfacher Anrufung von Gerichten durchgespielte Diskussion um Übernachtungscamps für Protestler führte meines Erachtens völlig erwartungsgemäß zu einer Zuspitzung der Lage und gegen Mitte/Ende der Woche dann zu einem kompletten Kippen der Situation.


Die anlässlich des G20 in Hamburg geplanten Aktionen; Quelle: Twitter

Die seitdem anhaltende, omnipräsente Nachbereitung der Ereignisse beherrscht nicht nur die professionellen Medien und Stammtische gleichermaßen, auch die sozialen Medien kochen über und drohen ob des Diskussionsdrucks zu bersten.

In der Hansestadt trafen wir neben Hamburger Konfliktmanagern auch auf Kolleg*innen aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Jedes Team hat natürlich eine eigene Einsatzphilosophie und taktische Vorgehensweise. Die ebenso unterschiedliche Ausrüstung und Uniformierung wurde zumindest grob kompensiert, indem wir alle die blauen Westen "Kommunikationsteam" aus Hamburg erhielten. Unterschiede bei der Kommunikationstaktik wurden derart aus der Welt geräumt, als dass wir uns der Hamburger Einsatzphilosophie unterordnen mussten.

Für mich persönlich war dies kein normaler und vor allem kein einfacher Einsatz.


Freilich wurde ich nicht wie viele Spezial- oder besondere Festnahmeeinheiten an "vorderster Front" eingesetzt, nachdem die Krawalle begannen. Zwar hatte ich neben meiner üblichen Schutzausrüstung auch meinen Helm mit, musste diesen jedoch nicht zum Schutz aufsetzen.

Nichtsdestotrotz vermischten sich meine höchstpersönlichen Impressionen mit den parallel verfolgten Twitterfeeds der Hamburger Polizei einerseits und der mutmaßlichen Gipfelgegner andererseits zu einem Gefühlspotpourri, das mitunter an Skurilität nicht mehr zu übertreffen war. Völlig klar, dass die natürlich mit den Kollegen geführten Debatten und die über Funk eintreffenden Erkenntnisse für zusätzliche Würze sorgten.

Wenn man dann noch den Blick gehoben hat und am bebauten Horizont dunkle Rauchschwaden über Altona und St. Pauli hochsteigen sieht, spätestens dann fragt man sich einfach: what the fucking hell mache ich hier eigentlich?!


Foto: eigenes

Warum äußere ich mich jetzt eigentlich - genau zu diesem Zeitpunkt?

Nun, während des Einsatzes gärte es in mir. Aber ich bin Profi genug, die Dinge zu trennen. Dass ich als Teil dieses G20-Einsatzes, den die Polizei Hamburg als "Besondere Aufbauorganisation Michel" geplant und durchgeführt hat, nicht aus dem Geschehen heraus Stellung beziehen darf, muss klar sein. Eine grundsätzliche Neutralität in solchen Momenten ist Beamtenpflicht.
Nach Einsatzende - eigentlich schon während der Ereignisse - überschlugen sich Journalisten und Politiker mit Statements, Erklärungsansätzen und beginnenden Schuldzuweisungen.
So ziemlich jeder, der was zu sagen hat (und die anderen auch), äußerte sich zum Thema. Gerade nach dem Erscheinen von meiner Ansicht nach brillanten Texten - hier möchte ich auf das Nuf verweisen, "
G20 und mein Verständnis von Demokratie" - fragte ich mich, ob es denn überhaupt noch was zu sagen gibt. Redundanzen sind ermüdend und daher nicht so mein Ding.
Mit den Tagen reifte jedoch mein Entschluss, trotzdem noch einmal ein eigenes Statement zu verfassen. Vor allem, weil die bisherigen Äußerungen primär von Journalistenseite und auch von Politiker*innen kamen. Polizeiliche Stimmen sind vorhanden, jedoch in Relation zu den rund 20.000 am G20 Mitarbeitenden der Polizei meiner Wahrnehmung nach deutlich unterrepräsentiert.

Im Ergebnis bewerte ich meine Einsatzimpressionen sowie den Blick auf die bis dato erfolgten öffentlichen Bewertungen wie folgt:

Dass in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, das als führende Nation in verschiedenen Bündnissen zurecht Defizite beim Demokratieverständnis sowie den Bürger- und Freiheitsrechten in Staaten wie der Türkei, Ungarn und Russland anprangert, ein Gipfeltreffen mit derartigen Einschränkungen eben dieser Rechte einhergeht und sowohl die politische als auch die polizeiliche Führung einen Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten praktizieren, ist unfassbar und beschämend.

Ich bin sehr traurig und verstört, gerade weil ich von Berufs wegen diesen demokratischen Rechtsstaat vertrete, verteidige und als eine große Errungenschaft unserer freiheitlichen Gesellschaft ansehe. Doch der verfehlte Umgang der Verantwortlichen mit Aspekten der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen und auch der Umgang mit den Anliegen der Wohnbevölkerung und der Protestwilligen ist das eine. Nicht minder irritierend ist die teils populistische und im schlechtesten Sinne emotional geführte Aufarbeitungsdebatte vieler hoher Politiker*innen als auch so genannter journalistischer Leitmedien. Wie kann es angehen, dass nicht mehr verbriefte Grundrechte den Rahmen exekutiver Maßnahmen stecken, sondern das Bauchgefühl erzürnter Abgeordneter oder den Pressekodex mit Füßen tretender BILD-Journalisten?

Bei solch einer gigantischen mehrtägigen Veranstaltung mit tausenden Delegationsmitgliedern und erwarteten zehn- bis hunderttausenden Protestierenden – und auch die betroffene Wohnbevölkerung (sind ja nur ein paar Hunderttausend) sollte man nicht vergessen – und einer somit herausragenden Einsatzlage für die Sicherheitsbehörden kann natürlich eine Menge schief laufen. Und klar: Am Ende sind alle schlauer und es fällt leicht, klug daher zu reden. Aber in diesem Fall gab es genügend mahnende Stimmen im Vorfeld, gerichtliche Überprüfungen und konkrete Prognosen zu einem unfriedlichen Verlauf bei diesem Super-Gipfel im Großstadtdschungel. Leider ist wirklich verdammt viel falsch gelaufen, im Kleinen wie im Großen. Und ja: viele Dinge haben geklappt, wie z.B. der weitestgehend störungsfreie Transfer der Gipfelteilnehmer zwischen Messe/Innenstadt und Flughafen. Aber sorry, unter dem Strich kann dies nichts mehr rausreißen.


Viele entschieden sich für "Fuck You"...

Was mich außerdem überrascht und ängstigt, ist die große Polarisierung bei der Bewertung der Angelegenheit. Viele Politiker betonen lautstark, welche politische Seite die miesesten Aktien bei G20 zu verantworten hat. Gerade diese Links-Rechts-Diskussion ist derart spekulativ und müßig, dass es wehtut. Jeder, der sich auch nur im Ansatz mit den Grundthesen eines friedlichen und gedeihlichen menschlichen Miteinanders identifiziert, kann doch allein zu der Einschätzung gelangen, dass Gewalt gegen Menschen, aber auch gegen Sachen absolutes No-Go sind und hierfür keine Rechtfertigung oder Entschuldigung vorliegt. Niemals und unter keinen Umständen, zumindest in unserem demokratischen Deutschland. Menschen, die unter welchem Vorwand auch immer diesen Grundsatz verwerfen oder auch nur in Frage stellen, müssen sich den Konsequenzen in vollem Umfang und nötigenfalls in voller Härte stellen. Dass Personen aus verschiedensten Gruppierungen oder Initiativen heraus wie Gewaltstraftäter agieren und dafür von manchen Unterstützern auch noch abgefeiert werden, finde ich abstoßend.

In diesem Sinne muss auch ich klarstellen: Diese Sichtweise ist unumstößlich, stellt aber trotzdem keinerlei Widerspruch zur Legitimation oder gar Erfordernis dar, staatliches Vorgehen anlässlich der Veranstaltung kritisch zu hinterfragen. Wie es vermehrt in den letzten Tagen so schön hieß: Ablehnung von Gewalt und angebrachte Polizeikritik schließen sich nicht aus.


Quelle: Facebook

Die gesellschaftliche und politische Diskussion um die Gewaltausbrüche nehme ich als ausgesprochen hitzig und heterogen wahr. Der Streit wurde bislang sehr unversöhnlich ausgetragen. Gefährdet die Bewertung des Ereignisses gar die gesellschaftliche Geschlossenheit, wie unsere Demokratie mit dem Schlagabtausch der widerstreitenden Parteien umzugehen hat? Auf alle Fälle scheinen sich die Relationen und Dimensionen zu verschieben: Der Bund hat der Stadt Hamburg für die Bewältigung der Sicherheitslage 75 Millionen Euro zugeschossen. Die Bundeshauptstadt Berlin hat die längste Zeit für die Bewältigung der hauptstadtbedingten Sicherheitslage 60 Millionen Euro erhalten – für das ganze Jahr! Auch der Vergleich mit anderen Situationen, in der sich staatliche Anteilnahme in Zahlen ausdrücken lässt (bspw. die Entschädigungszahlungen für die Hinterbliebenen der NSU-Terrorserie) hinkt nicht nur unerheblich. Leicht kann hier der Eindruck entstehen: Wir wussten von Beginn an, dass es schlecht laufen kann. Nun ist es sogar mehr als schlecht gelaufen, lasst uns die verkohlten Barrikaden schnell entsorgen, die Eigentümer abgefackelter Autos und geplünderter Geschäfte schnell entschädigen und Schwamm drüber. Aber das fühlt sich nicht nur falsch an, so einfach ist es schlicht nicht.

Die Diskussion, ob ein solcher Gipfel überhaupt in einer Metropolregion hätte stattfinden dürfen (meine Auffassung: nein!) ist müßig. Aber in Hamburg hat man mit der Platzierung des Hauptgeschehens in unmittelbarer Nähe zum Kiez sowie mit dem Transferkorridor und der Allgemeinverfügung gezeigt, dass man schlechte Bedingungen durch falsche Herangehensweisen immer noch verschlimmern kann. Ich bin da ganz bei Justizminister Maas, der zumindest verspricht, dass sich so eine Konstellation auf deutschem Boden nicht mehr wiederholen wird.

Was die Polizeitaktik anbetrifft, haben mittlerweile fast sämtliche Rechtswissenschaftler und Polizeiforscher mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen erklärt, dass das Vorgehen der Hamburger Polizeiführung nicht nachvollziehbar und hinsichtlich der Ausprägung schlicht falsch gewesen ist.


Hamburger Straßenbild 4.-8. Juli 2017; Foto: eigenes
  
Ich jedenfalls bin der Meinung, dass die Exekutive den unumstößlichen Auftrag hat, unsere Demokratie und die in ihr lebende Gesellschaft zu schützen. Es gilt, unsere Verfassungswerte und moralischen Grundsätze zu verteidigen. Dass in vielen Menschen nun der Eindruck entstanden ist, gerade die Polizei hat in Hamburg unter Aufbietung ihres gesamten Werkzeugkastens die temporäre Aufhebung von Grundrechten ermöglicht und gestützt, ist gleichermaßen heftig wie fatal. Ob das formaljuristisch nun so war… ich bin Polizeibeamter und kein Rechtsgelehrter. Aber ich vertrete die Auffassung, dass allein schon der Verdacht eine schlimme Wirkung auf das Vertrauen in die Institution Polizei entfaltet.


Die Vorgehensweise eines Hardliners, der offensichtlich politisch genau in diese Richtung geschickt wurde, hat jahre- und jahrzehntelang mühsam erarbeitetes Vertrauen in die Polizei beschädigt, wenn nicht bei Einzelnen gar beseitigt. Es wurde wohl eine Einsatztaktik verfolgt, die im Vergleich zu anderen vergleichbaren Lagen (z.B. in Berlin) seit Jahrzehnten als überholt gilt. Die Polizei als Partner, als Freund und Helfer, als Bürgerpolizei? Nein. Hier wurde die ausgestreckte Hand zur Faust geballt.

Was mich besonders irritiert: Gerade die sich für ihre weltoffene, hanseatische Lebensweise gern selbst feiernde Stadt Hamburg („Das Tor zur Welt“) mit ihrer derzeit rot-grünen Regierungskoalition hat durch die Planung und Ausgestaltung dieses Events dafür gesorgt, dass nicht nur deutschlandweit, sondern auch international nicht mehr in höchsten Tönen von den Deutschen als Organisationsweltmeister geschwärmt wird, sondern vor allem die negativen Eindrücke haften bleiben.


Quelle: Tagesspiegel

Vorwürfe der Polizeigewalt - hat die Polizei eine Sonderstellung?

Ein sehr schwieriges Thema, insbesondere für einen Polizisten. Nun, nicht schwierig dürfte die Feststellung sein, dass es Polizeigewalt definitiv gab. Sorry, Olaf Scholz. Aber die x-fachen Foto- und Videoaufnahmen von meist eindeutigen Situationen, in der keine denkbare Rechtfertigung oder Entschuldigung für körperliche Gewalt vorliegen kann, sprechen eine eindeutige Sprache. Hinzu treten die vielen persönlichen Berichte von Journalisten und Aktivisten, die bei ihrer Tätigkeit behindert oder auch angegriffen wurden, die gewiss nicht in Gänze erfunden sein können.



Große Teile der Polizei identifizieren sich seit einigen Jahren mit dem Slogan „Auch Mensch“, der von einer Polizeigewerkschaft initiiert wurde. Gemeint ist, dass Polizistinnen und Polizisten halt auch aus Fleisch und Blut sind, keine Exekutivroboter. Sie haben Stärken und Schwächen, machen auch Fehler. Grundsätzlich finde ich den Gedanken grandios, da er von der These der Unfehlbarkeit staatlichen Handelns abrückt. Allerdings stelle ich fest, dass „Menschlichkeit“ halt auch gern genommen wird, um nicht so gutes Verhalten zu entschuldigen. Kritikfähigkeit und Mut zur Analyse eigener Fehler sehen aber anders aus.


Quelle: Twitter

Die Frage, ob an einen Polizisten grundsätzlich höhere Anforderungen als an andere Menschen zu stellen sind, insbesondere im Vergleich zu Vertretern der „anderen Seite“, also im Polizeisprech die Adressaten der Maßnahmen bis hin zu Störern, beantworte ich mit einem klaren Ja.

Was verhaltenswissenschaftlich abläuft in extremen Einsatzlagen, ist kein Geheimnis. Selbst an anderer Stelle, z.B. im Sport, kann man das beobachten. Die neuseeländischen Rugbyauswahlspieler (New Zealand All Blacks) treten optisch martialisch auf und untermalen diesen Auftritt noch klangmäßig mit einer Art Kampfschrei. Ähnlich die legendären Auftritte des isländischen Fußballnationalteams bei der EM 2016. Hier wird mit dem Bild des Kriegers offen kokettiert.
Nicht verwunderlich, dass Polizisten dies wenig anders handhaben, haben sie im Vergleich zu den Sportlern sogar einiges Equipment, das dem Bild des „Kriegers“ noch mehr entspricht.
Trotzdem kann es nicht angehen, dass Polizisten sich einer Gruppendynamik hingeben, die im Ergebnis zu Schäden führt. Für einzelne Betroffene, für das Ansehen der Polizei und für den Rechtsstaat als Ganzes.


Spucki im Hamburger Stadtgebiet; Foto: eigenes/Thx K.B.

Auf Twitter las ich folgendes Statement: Auch ein Hirnchirurg kann nicht mitten in einer OP plötzlich mit den Instrumenten im Schädel des Patienten durcheskalieren, nur weil er dem hohen Druck gerade nicht gewachsen ist. Besser kann man das nicht sagen.


Auch wenn es mir schwerfällt und mir ggf. (wieder) den Titel „Kollegenschwein“ einbringt: Leute, wenn ihr Probleme mit der Stresstoleranz habt, dann nehmt die bestehenden Angebote (Verhaltenstraining, Einsatztraining etc. pp.) wahr oder sucht euch schlimmstenfalls eine andere Verwendung. Mit jedem ungerechtfertigten Schlag, mit jedem Rempler zerstört ihr Vertrauen, von den unmittelbaren Schäden mal ganz abgesehen.

Welche öffentlichen Aussagen waren an Schrägheit kaum zu überbieten?

Da gab es einiges zu vermelden:
Ein Gewerkschafts-Zombie entsteigt den Sümpfen und wagt sich erneut ins Rampenlicht. Ob Print, Online oder TV, plötzlich gerierte sich wieder ein Rainer Wendt von der DPolG als "Experte" und tat u.a. kund, wie sehr er mangelnde Fehlerkultur bei den (seines Erachtens) Verantwortlichen vermisst und forderte Rücktritte.
Angesichts der bigotten Vita dieses Herrn wirkt das alles wie knallharte Satire. Ist sie aber nicht, sagt mein Hirn und will daraufhin angesichts dieses paradoxen Bullshits implodieren.

Ganz oben auf der Liste verorte ich auch Wolfgang Bosbach, langjähriger Ausschussvorsitzender Inneres im Bundestag. Dass er sich unmittelbar nach den Krawallen in Hamburg auf n-tv derart in Rage redet, nur weil er von der Interviewerin nach einer möglichen falschen Polizeitaktik gefragt wird, spricht nicht eben für eine realitätsbezogene Wahrnehmung der Dinge. Vielmehr mag man hier dem eigenen Lager entsprechen und um Himmels willen nur nicht am Gewaltmonopolisten Polizei Zweifel anbringen. Aber hieße das dann statt „Auch Mensch“ nicht eher „unfehlbarer Polizeiroboter“?

Viele andere Politiker standen dem aber nicht viel nach. Wer Vergleiche der kriminellen Krawallmacher mit Terroristen anstellt, kann nicht bei Sinnen sein und verhöhnt gleichzeitig die Opfer und Hinterbliebenen tatsächlicher terroristischer Gewalt. 

Welche Probleme hat der G20 noch aufgezeigt?

Seit geraumer Zeit, insbesondere nach dem US-Wahlkampf des vergangenen Jahres sind postfaktische Meldungen, alternative Fakten und Fake-News in aller Munde. Sehr erschreckend empfand ich während des Einsatzes in Hamburg, dass dort auch – und zwar von allen Seiten – mehr oder minder bewusst auf das Verifizieren bestimmter Meldungen verzichtet wurde. Die Rede war u.a. von Schädelbrüchen bei Demonstrierenden und Polizisten, Erblindung eines Einsatzbeamten oder auch von der Entwendung gleich mehrerer Dienstwaffen durch G20-Protestierende. Solche Falschmeldungen können eine fatale Wirkung haben. Allein schon, weil Einsatzkräfte bei diesen Stichworten eine ganz andere Eigensicherung vornehmen, die objektiv betrachtet dann vielleicht nicht notwendig wäre, das Gegenüber eher noch mehr reizt und somit kontraproduktiv wirkt.

Okay, Fake-News gibt es seit ewigen Zeiten und bereits im Weltkrieg wurde es bewusst als Desinformation des Feindes eingesetzt. Aber merkt ihr was? Wieder müssen hier bei einer polizeilichen Einsatzlage die Begriffe „Krieg“ und „Feind“ herhalten. Schlimm.

Welche Rolle spielt ein Einsatzleiter Hartmut Dudde?

Als Gesamtpolizeiführer des Einsatzes spielt Herr Dudde natürlich eine herausragende Rolle. Er verantwortet die Taktik der Polizei meines Erachtens nicht minder als sein Präsident oder auch der Innensenator Andy Grote.


Dudde: "Unmögliches möglich machen" - Ein Mann, ein Wort.
Quelle: Hamburger Polizeijournal


Als ausgemachter Hardliner ist er nun natürlich in besonderer Erklärungspflicht nach dem Scheitern einiger Grundzüge seiner Taktik. Dass er bei der ersten Pressekonferenz nach dem Einsatz von einem Erfolg sprach und mit der herangetragenen Kritik nichts anfangen konnte, indiziert vielleicht auch, dass er hierzu nicht in der Lage ist. Die bekannte polizeiliche Sozialisation unter einem Innensenator Ronald Schill, dem Gottvater aller Hardliner, und die darauffolgende steile Karriere nährt natürlich Annahmen, dass eben diese persönliche Geschichte ausschlaggebend für die letztendlich falsche, weil nicht mehr zeitgemäße Taktik war.



Quelle: Twitter

Warum konnten die Kommunikationsteams der Polizei denn nicht mehr erreichen?

Weil es meines Erachtens der grundsätzlichen Linie entgegen gelaufen wäre. Schon vor Gipfelbeginn und Eintreffen der meisten Protestler und polizeilichen Unterstützungskräfte hat die Hamburger Polizeiführung Fakten geschaffen und hat einen konfrontativen Kurs eingeschlagen. Statt gezielter Kommunikation und Deeskalation hat man die Spirale eher in die andere Richtung gedreht. Dies hat es den Konfliktmanagern ungemein erschwert, auf Augenhöhe mit der Zielgruppe zu kommunizieren.
Unabhängig davon wurden die Kommunikationskräfte meiner Meinung nach nicht optimal eingesetzt. Da es sich auf der Tabelle der Gesamtkräfte aber prima liest, dass auch Kommunikationsteams im Einsatz waren, hat man aber natürlich nicht gänzlich auf diese Einsatzkomponente verzichtet. Nicht wenige sprachen daher auch von einem Alibismus, um den Schein zu wahren.

Stimmen denn die Vorwürfe, die Polizeikräfte wurden mies untergebracht und schlecht versorgt?

Die durch die (sozialen) Medien gegangenen Fotos und die von den Gewerkschaften verlautbarten Zustände sind wohl Fakt. Dies ist gerade in Hinblick auf die immens lange Vorbereitungsphase ein Unding und indiziert eine falsche bis desaströse Gewichtung der Planungsbemühungen. Dass Polizeikräfte aufgrund falscher Versorgungsdienstleistungen hungern und Durst haben, teils ununterbrochen im Einsatz waren, dort dann zusammenbrachen und in den winzigen Ruhepausen in kompletter Montur auf irgendwelchen Fußböden schlafen mussten, ist ein Skandal erster Güte.

Damit verglichen hatten meine Kolleg*innen und ich schon beinahe Glück. Wir waren in einem Hotel untergebracht. Allerdings stand dies bis zuletzt nicht als sicher fest und wir hatten erst bereits auf der Anfahrt davon erfahren, wo wir hin mussten. Zudem musste das Hotel einmal gewechselt werden und die Transfers von außerhalb der Stadt in die City hinein gestalteten sich schwierig, da wir keine festen Fahrzeuge zur Verfügung bekamen. Teilweise wurden die Strecken mit dem ÖPNV zurückgelegt. Die Versorgungsbeamten konnten die Verpflegung teilweise nicht durch die Stadt transportieren, da angeblich kein Durchkommen war.

Fazit: Da war leider viel Luft nach oben. Und da Defizite in diesem Bereich unmittelbar als ausbleibende Wertschätzung empfunden werden, war die Wirkung fatal.

The time after – was ist der Einsatz der Polizist*innen wert?

Etwas verwundert konnte ich zur Kenntnis nehmen, dass nach dem G20-Einsatz eine Art Wertschätzungs-Wettbewerb unter den Bundesländern ausbrach. Insbesondere nach den heftigen Ausschreitungen sahen sich die jeweiligen Landespolitiker in der Pflicht, Kompensation zu betreiben. Das Land Berlin erwog, allen am G20 beteiligten Einsatzkräften einen Tag Sonderurlaub zu gewähren. Kurz danach erklärte Hamburg, seinen Einsatzkräften drei Tage Sonderurlaub plus Wurst und Getränk bei einer gemeinsamen Nachbesprechung zu spendieren. Berlins Innensenator Geisel zog daraufhin nach und erhöhte ebenso auf drei Tage. Trotz der ausbleibenden Wurst sehe ich diese Geste als sehr positiv an. Es ist ein Zeichen von Wertschätzung, das ich so nicht erwartet hatte und das mich daher im Guten überrascht. Um die Spirale jedoch – dem Föderalismus sei dank! – noch weiterzudrehen, genehmigte das sächsische Innenministerium zwar „nur“ einen Tag Sonderurlaub, jedoch eine
Einsatzprämie in Höhe von 500,- € pro Dienstkraft.
Einerseits: Wow! Andererseits: Schade. Denn haben Bremer Polizeikräfte nicht genauso viel Ausgleich und Wertschätzung verdient wie bspw. die Kolleg*innen aus dem Saarland oder eben aus Sachsen? Verrückte Welt.

Was bleibt?

Eine sicher wochen-, wenn nicht monatelange Aufarbeitung der Ereignisse in Hamburg und über die Hansestadt hinaus. Und in Zeiten polarisierender öffentlicher Debatten und aus Talksendungen flüchtender Politiker sicher auch eine Grundsatzdiskussion, welche Werte wir in unserer Gesellschaft als überlebenswichtig definieren und wie wir deren Verteidigung angehen wollen.

Und zuletzt ist allen wie auch immer geschädigten Menschen, egal ob Anwohner, Protestierende oder den vielen verletzten Polizeikräften, eine baldige und vollständige Genesung zu wünschen!

Und dass wir alle vielleicht etwas draus lernen werden…


Foto: eigenes

Mittwoch, 28. Juni 2017

Berliner Partypolizei - viel Lärm um nichts?

Gestern wurden drei Einsatzhundertschaften der Polizei Berlin, die zum Unterstützungseinsatz anlässlich des bevorstehenden G20-Gipfels in Hamburg in die Hansestadt entsandt wurden, von der dortigen Polizeiführung noch vor Einsatzbeginn wieder zurück nach Berlin geschickt. Der Vorwurf lautet "ungebührliches Verhalten" bei einer Feier auf dem Unterkunftsgelände. Von Alkohol, Gegröle, Sex, Rumpinkelei und aggressivem Verhalten einer anderen Einheit aus Wuppertal gegenüber ist die Rede. 


Das Social Media-Team der Polizei hat heute dazu ein Statement veröffentlicht.

Quelle: Facebook

Ich habe viel nachgedacht, wie ich zu den Vorwürfen "Partypolizei" stehe.

Ja, auch Polizist*innen sind Menschen. Kein Zweifel. Aber ich würde mir wünschen, wenn man das anders zeigt. Und es nicht immer als eine Art Generalentschuldigung zur Sprache kommt, wenn einmal etwas schlecht gelaufen ist.
Ich bin überzeugt, dass unter dem Strich die Außenwirkung Schaden genommen hat. Auch wenn nun viel Zuspruch kommt - vor allem von jüngeren Menschen und sogar von der Clubcommission -, ist dies in vielen Fällen sicher humoristisch gemeint, oft auch hämisch in Richtung der doch etwas steif wirkenden Hanseaten.

Aber wie kann es angehen, dass von den Polizeikräften einerseits (neben Geld) vor allem Respekt eingefordert wird und man andererseits solch ein Bild abliefert?

Darf man im Einsatz, gerade auswärts, auch feiern?
Ja. Aber man soll und darf es nicht übertreiben. Und sich mit "Es war Freizeit" herauszureden ist Unfug, wenn man zwei Meter vom Einsatzfahrzeug entfernt offen rumpinkelt und Dritte (u.a. Kolleg*innen anderer Polizeibehörden) dies mitbekommen.

Darf man auf Tischen tanzen?
Naja, als Polizist*in vielleicht bei einer geschlossenen Party. Aber dabei mit einer Schusswaffe zu hantieren, ist ein No Go. Denn es ist nicht nur gefährlich (egal ob geladen oder nicht), es bietet ein Bild der Unprofessionalität, das Furcht macht.

Darf man Sex haben?
Von mir aus. Aber auch hier gilt: Das muss nicht offen stattfinden, denn wenn Dritte (u.a. Polizeikolleg*innen) das mitbekommen und in den falschen Hals kriegen, ist das nicht richtig.

Einerseits erleichtert mich, dass die Öffentlichkeit - Menschen dieser Stadt, Journalisten, Politiker usw. - grundsätzlich nicht durchdreht. Es ist nämlich kein Skandal.
Aber es ist diskussionswürdiges Verhalten, welches das Image beschädigen kann. Und das ist unnötig und ärgerlich.
Viele Polizist*innen in Berlin werden es eher unangenehm finden, nun im Dienst von Bürger*innen und Gästen der Stadt, aber auch im privaten Umfeld auf die Angelegenheit angesprochen zu werden.

Viele Kommentare im Internet zeigen daher auch eine eher ablehnende Haltung:

Quelle: rbb-online.de

Der Vorfall war mindestens einen Tag lang - trotz starker Konkurrenz ("Ehe für alle") - eins der absoluten Top-Themen in den bundesweiten Medien, bis hin zum Spiegel und der Tagesschau. Im Rundfunk Berlin-Brandenburg gab es sogar eine TV-Spezialsendung am Abend, der Polizeipräsident wurde auf einen Rücktritt angesprochen.
Ich denke, das war eher keine Imagewerbung für die Polizei oder die Stadt Berlin. Ganz im Gegenteil.

Im Rahmen meiner gründlichen Vorbereitung auf die Auslandsmission vor einigen Jahren wurde uns immer wieder eingetrichtert: Wir sind Botschafter in Uniform! Jedes Fehlverhalten kann Vertrauen zunichte machen, gerade weil wir eine Institution sind, die gern einmal gerufen wird, wenn sich andere schlecht benehmen. Und das gilt genauso hier, in Berlin und auch in Hamburg.

Gut an dem Statement des Social Media-Teams finde ich, dass unaufgeregt auf die Relationen hingewiesen wird: Die betroffenen Dienstkräfte halten i.d.R. bei allen möglichen Einsätzen den Schädel hin und haben auch direkt nach der unfreiwilligen Rückkehr ihren Job gemacht. Das darf man bei aller Kritik nicht vergessen.

Skandal? Nein. Unnötig? Ja.