Freitag, 20. Juni 2014

Die Flaggenfrage - immer wieder...

Seit 2006 sind unsere Fußballer ja die "Weltmeister der Herzen", egal wie sie tatsächlich in den Turnieren abschneiden.
Deutschland hat sich geändert, seitdem Hunderttausende oder gar ganze Millionen vor dem Brandenburger Tor die Spiele der Nationalmannschaft verfolgten und diese dann anschließend feierten, als hätte sie den Pokal geholt.

Seit diesem Turnier ist es immer öfter zu beobachten, dass auch bei kleineren internationalen Sportfesten und auch sportartübergreifend Farbe bekannt wird: Schwarz. Rot. Und Gold.

Nicht schwer zu erraten, aus welchen politischen Ecken welche Statements kommen.

Besonders auffällig ist der Zustand im Straßenverkehr, wo gerade in Großstädten zu Zeiten der bedeutenden Turniere eine Massenbeflaggung wahrnehmbar ist. Früher gab es nur die Standarten an Diplomatenfahrzeugen, heute ist gefühlt jedes dritte Auto mit einer Ansteckfahne versehen. Oder einer Großflagge quer über die Motorhaube. Spitzfindige Händler entwickeln stetig neue Schland-Gadgets für die Fahrzeuge, die man anstecken, ankleben, anklemmen oder überspannen kann. Sogar viele Motorroller fahren mit speziellen Deutschlandfähnchen am Lenker durch die Straßen.

Dieses Thema ist mittlerweile auch schon ein wenig ausgenudelt. Die Mehrheit in der Bevölkerung, den Großteil der Politiker unseres Landes mit einbezogen, steht dem neuen Trend wohlwollend-erfreut gegenüber.
Ich persönlich möchte mich auch nicht beschweren, dass die oder der Deutsche mit den Jahren - insbesondere heute, rund 25 Jahre nach Formierung der neuen Republik - die verkrampfte Haltung zum Mutter-/Vaterland abgelegt hat.
Aber: Gibt es nicht auch Grenzen? Mir wird komisch im Bauch und auch im Kopf, wenn ich Fahrzeuge sehe, die sechs, acht oder noch mehr Fahnen angeklemmt haben. Mir wird komisch, wenn ich durch Straßen laufe oder fahre und dort auf beflaggte Balkone und Fenster treffe, die mich wahlweise an das starke, stolze Deutschland vor 1945 bzw. an Szenen aus der potemkinschen DDR erinnern.
Vor allem wird mir aber komisch, wenn an meinem eigenen Fahrzeug wiederholt und bösartig die bewusst "andersartigen" Flaggen (z.B. Schweden 2006, Frankreich 2010) abgebrochen werden und der Wagen in dem Zusammenhang gleich noch beschädigt wird. Dies ist auch kein Einzelfall.
Für mich wirkt das wie ein sanfter Vorläufer der Zusammenkünfte "besorgter" Patrioten, die deutschbeflaggt betroffene Mahnwachen vor neuen Flüchtlingswohnheimen abhalten. Es erinnert mich auch an die 80'er Jahre, in denen ich zum ersten Mal selbst Menschen mit komischer Frisur, komischen Schuhen und Kleidung gesehen habe, auf der Aufnäher mit dem Spruch "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" angebracht waren. Auch auf diesen Aufnähern war stets die deutsche Fahne zu sehen.

Und nun wieder Fußball-WM. Die drei Farben überall. Ich möchte über mein Bauchdrücken gern hinwegsehen und den fröhlichen Fans nicht ihre gute Laune verderben. Ehrlich.
Aber ich freue mich auch, wenn die Show vorbei sein wird und die Flaggen wieder verschwinden (bzw. zu Tausenden auf der Stadtautobahn im Schmutz des Fahrbahnrandes liegen). Auch ehrlich.

Problematisch finde ich, dass heutzutage schon derjenige schief angeschaut wird, der eben bewusst keine (deutsche) Fahne am Auto oder Balkon zu hängen hat, dessen Fingernägel nicht entsprechend lackiert sind und dessen Kinder nicht wie fleischgewordene Nationalbanner in Kita oder Schule geschickt werden. Diese Fälle gibt es. Leider.

Nur die Zukunft wird zeigen, in welche Richtung das Patriotenbarometer langfristig ausschlagen wird. Ich wäre nur über mehr Feingefühl für die Sorgen und Befürchtungen kritischer Menschen dankbar.

Marc-Uwe Klings Känguru sagt immerhin auch "Der Patriotismus hat einen kleinen, fiesen Bruder namens Nationalismus.". Und es muss es doch wissen.

Ein überaus interessanter Artikel zu dem Phänomen findet sich auch in der Süddeutschen Zeitung (hier). Zwar schon aus 2012, aber auch heute noch lesenswert. Es zeigt sich, dass der Grat und somit die Unterscheidbarkeit zwischen Patrioten und Nationalisten sehr schmal und schwierig ist.

Ich wünsche den deutschen Fußballern und allen sonstigen Sportlern, die sich international mit Anderen messen, viel Erfolg und alles Gute. Mögen sie es mir verzeihen, dass sie mich nicht an meiner Deutschlandfahne erkennen.

 

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